Univerbot für afghanische Frauen: Gefährliches Halbwissen

Die Taliban in Afghanistan verwehren Frauen jetzt auch die Hochschulbildung – und setzen die Kontakte zur internationalen Gemeinschaft aufs Spiel.

Männer sitzen in einem Schulraum, in einem abgetrennten Teil des Raumes leere Stühle

Bildungslücke: In diesem Vorlesungssaal in der Provinz Kandahar sitzen keine Studentinnen mehr Foto: Stringer/afp

Afghanistans Taliban haben für Frauen nun auch die Universitäten geschlossen. Das Land hat etwa 20 öffentliche und über 80 private Universitäten. In einem Brief von Hochschulminister Scheich Neda Muhammad Nadim vom Dienstag wiesen sie mitten in den Jahresabschlussprüfungen alle Hochschulen „bis auf Weiteres“ an, jegliche Bildung für Frauen zu suspendieren, dies „sofort“ umzusetzen und seinem Ministerium Vollzug zu melden. Die Verbotspolitik der Taliban in Afghanistan erreicht damit einen weiteren Tiefpunkt.

Bereits seit Schuljahresbeginn im Frühjahr sind Mädchen ab der Pubertät von der Schulbildung ausgeschlossen. Es folgte der Ausschluss von Frauen und Mädchen, selbst im Familienverband, von der Nutzung von Parks, Fitnessklubs und öffentlicher Badehäuser.

Der Brief von Minister Nadim bezieht sich auf einen öffentlich nicht zugänglichen „bestätigten“ Beschluss des Taliban-Kabinetts, der offenbar bereits Anfang April gefasst worden war. Die Bestätigung ist offenbar ein Hinweis darauf, dass der erzreaktionäre Taliban-Emir Hebatullah Achundsada den Beschluss gebilligt hat.

Am Mittwochmorgen schritten die Taliban zur Tat, um das Verbot umzusetzen. Aus der Hauptstadt Kabul wurde berichtet, dass ihre Kämpfer Studentinnen entweder aus Vorlesungssälen herausschickten oder gar nicht erst hineinließen. Videos davon kursieren in sozialen Medien und sehen authentisch aus. Tamana Aref von der privaten Kardan-Universität in Kabul berichtete auf Twitter, dass am Morgen die Studenten hereingelassen wurden, „aber auf uns richteten sie ihre Waffen und sagten: 'Geht nach Hause.’“ Es gibt auch ein Video, das angeblich zeigt, wie Studentinnen auch aus ihrem Wohnheim geworfen werden.

Protest auch von männlichen Studierenden

Oppositionsmedien und afghanische Studentinnen berichten zudem, dass sie auch nicht in private Bildungszentren gelassen wurden. Selbst der Zugang zu Nähkursen sei versperrt worden. Ähnliche Berichte kamen auch aus den Provinzen Tachar und Ghasni. In Masar-i-Scharif und Maimana, den Hauptstädten der Provinzen Balch und Farjab im Norden des Landes, stationierten die Taliban Bewaffnete vor Hochschulen und an wichtigen Straßenkreuzungen, um Proteste zu unterbinden.

Das neue Verbot löste Proteste im Land selbst aus. An der medizinischen Fakultät der Universität in Dschalalabad, im Osten des Landes, sowie an der Universität Kandahar, im Kernland der Taliban, verließen männliche Studenten ihre Prüfungen. Studentinnen und Studenten protestierten gemeinsam auf dem Uni-Campus von Dschalalabad. An der Universität Kabul legte mindestens ein Mitglied des Lehrkörpers seine Dozentur nieder.

Die im Exil lebende frühere Parlamentsabgeordnete Raihana Asad und die aus Afghanistan stammende Dozentin an der Australischen Nationaluniversität Farchondeh Akbar nannten das Verbot übereinstimmend einen neuen Schritt zu einer „Gender-Apartheid“. Shaharzad Akbar, die frühere Vorsitzende der afghanischen Menschenrechtskommission, tweetete, die Taliban seien dabei, Afghanistan in ein “Massengrab für die Wünsche der Frauen und Mädchen zu verwandeln“.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres bezeichnete die Maßnahme der Taliban als „sehr beunruhigend“. Es sei „schwer vorstellbar, wie ein Land mit allen diesen Problemen sich ohne die aktive Beteiligung der Frauen entwickeln kann“. Guterres’ Afghanistan-Sondergesandte, die frühere kirgisische Außenministerin Rosa Otunbajewa, sagte, die Schließung der Universitäten habe das Verhältnis der Taliban zur internationalen Gemeinschaft „unterminiert“. Die Organisation Islamische Konferenz, der auch Afghanistan angehört, verurteilte das Verbot. Taliban-Unterstützer Pakistan und Katar äußerten sich „besorgt“. Afghanische Kom­men­ta­to­r:in­nen warfen dem Westen aber auch vor, das Land erst den Taliban ausgeliefert zu haben.

Es gehe „nur um Macht“

Es sei schwierig zu erklären, was die Taliban mit dem Verbot bezweckten, sagte die langjährige Afghanistan-Beobachterin Susanne Schmeidl von der Schweizer Organisation Swisspeace der taz. Sie sehe möglichen Einfluss „konservativer gesellschaftlicher Werte, wo Männer als Hüter der Frauenehre angesehen werden, was für viele oft am einfachsten durch eine strikte Begrenzung von Frauen auf den häuslichen Bereich erreicht werden kann.“ Zudem priorisierte die Taliban-Führung „religiöses über weltliches Wissen“. Es gehe nicht um „Religion oder Kultur“, meint hingegen Laura Cesaretti, eine weitere Afghanistan-Forscherin, sondern „nur um Macht“ über Frauen.

Ein afghanischer Analyst, der inzwischen in Deutschland lebt und seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sprach gegenüber der taz von einem internen Machtkampf zwischen dem ultrakonservativen inneren Taliban-Führungszirkel um Hebatullah und den Moderateren, „die gute Beziehungen mit der Welt wollen“. In der Tat waren gerade in Bildungsfragen unterschiedliche Ansichten in der weiteren Taliban-Führung zu Tage getreten. Im Oktober musste Hochschulminister Abdul Baki Hakkani gehen, der sich beschwert hatte, dass er sich „nicht schuldig am Islam und der Menschheit“ machen wolle.

Die Hardliner unter den Taliban wie Hakkanis-Nachfolger Nadim scheinen derzeit die Oberhand zu haben. Der US-Afghanistan-Analyst Jonathan Schroden meint, „wir können mit Sicherheit zu diesem Zeitpunkt schließen, dass, während internationale Anerkennung ein Ziel einiger hoher Taliban-Mitglieder ist, das für jene Anführer, die das letzte Wort haben, vollkommen unbedeutend ist“.

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