Reaktionen auf Anschlag in Halle: Aktionismus? Ja, aber richtig

Nach dem Anschlag von Halle fordert die Politik viel. Nötig ist aber vor allem immer noch ein Mentalitätswandel der Behörden.

Überwachungskamera vor Gebäude

Bundesnachrichtendienst in Berlin Foto: Christoph Soeder/dpa

Gamer-Szene ins Visier! Messenger überwachen! Vorratsdaten speichern! Die politischen Forderungen nach dem Anschlag von Halle schießen ins Kraut. Es muss etwas getan werden, das ist richtig. Aber längst nicht alle Forderungen haben noch mit der Tat zu tun.

Klar ist: Die Sicherheitsbehörden haben ein Problem. Sie hatten den Täter von Halle, Stephan B., nicht auf dem Schirm. Weil er in einer rechtsextremen Onlinesubkultur agierte, in der zwar Hass auf Juden, Migranten, Frauen und Linke befeuert wird, in die aber die Behörden bis heute kaum Einblick haben. Und dies, obwohl bereits 2016 in München ein 18-Jähriger, der sich genau in dieser Szene bewegte, neun Migranten erschoss.

Mit Halle fällt Polizei und Verfassungsschutz diese Blindstelle auf die Füße. Zugegeben: Die Community ist ein verworrenes Geflecht aus teils zynisch-ironischen Postings, in immer neuen Foren und Unterforen. Dies alles jederzeit im Blick haben zu können, ist utopisch.

Und wenn Horst Seehofer hier pauschal von „Gamern“ spricht, geht das sicher fehl und schürt einen Generalverdacht. Dennoch ist es überfällig, auf die rechtsextremen Auswucherungen dieser Szene zu schauen, die immer weiter Terrornachahmer anfeuert und nun teils auch Stephan B. feiert.

Expertise statt neuer Instrumente

Der Verfassungsschutz aber will mehr: Er will auch verschlüsselte Nachrichten knacken und Onlinedurchsuchungen durchführen. Bei Stephan B. hätte dies indes nichts geholfen – den hätte man überhaupt erst mal auf dem Schirm haben müssen.

Auch ein verschärftes Ahnden von Hasspostings wäre hier gescheitert: B. bewegte sich offenbar auf Imageboards, auf denen anonym gepostet wird. Und auch ein Verbot der Identitären, ebenfalls nun diskutiert, hätte nicht geholfen: Zwar teilte auch B. den Wahn eines „Großen Austauschs“, dieser aber findet sich längst breit gestreut im Netz – und B.s direkte Bezugsszene war wohl eine andere. Dennoch ist es wichtig, nun klare Signale zu setzen, dass auch Hass im Internet nicht mehr ungesühnt bleibt.

Die Sicherheitsbehörden aber brauchen jetzt zuvorderst eines: die Expertise, Onlinecommunitys wie die von Stephan B. tatsächlich zu verstehen und zu entschlüsseln.

Und noch immer braucht es einen Mentalitätswandel. Die Behörden müssen endlich anerkennen, dass Rechtsextremismus nicht nur die Dorfprügelei meint, sondern immer auch den kleinen Schritt zum Terror – und inzwischen auch eine globale Vernetzung im Virtuellen.

Der Blick nach rechts? Am Ende doch eher flüchtig

Wie groß hier der Nachholbedarf ist, dokumentiert eine aktuelle Zahl: 43 rechtsextreme Gefährder zählt das BKA – Männer und Frauen, denen Anschläge zugetraut werden. Zu Jahresbeginn waren es gar noch 10 weniger. Zum Vergleich: Auf islamistischer Seite zählt die Polizei 690 Gefährder. Die Zahl legt offen, wohin die Ermittler bisher vor allem geschaut haben, wenn es um Terrorgefahr ging – und wohin nicht.

Der Blick nach rechts? Am Ende doch eher flüchtig. Und das trotz NSU, trotz der Messerattacke auf Henriette Reker, trotz des Mordes an Walter Lübcke. Trotz Gewaltfantasien auf Pegida-Kundgebungen oder deutschen Facebook-Kanälen. Trotz rechtsextremer Massaker in Christchurch oder El Paso, die auch deutsche Neonazis bejubelten. Es ist ein müßiger Befund, aber: Der rechte Terror wurde unterschätzt, viel zu lange.

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Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort, seit 2014. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Bis 2014 vier Jahre lang Teil des Berlin-Ressorts der taz. Studium der Publizistik und Soziologie.

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