AfD und französische Rechte: Le Pen lässt Weidel abblitzen

Die AfD-Chefin scheitert mit dem Versuch, in Paris die Wogen zu glätten. Wegen der Vertreibungspläne der AfD geht Marine Le Pen auf Distanz.

Ein Auschnitt eines Fotos zeigt nur die Augen Marine Le Pens

Ziemlich radikal: Doch sogar Marine Le Pen gehen die Vertreibungspläne der AfD zu weit Foto: Yves Herman/dpa

BERLIN taz | Der Spitzname von Alice Weidel in der AfD ist nicht umsonst „Eisprinzessin“: Die Bundessprecherin schaltet mitunter innerhalb weniger Sekunden von freundlich auf unterkühlt – und teilt dann ordentlich aus.

Nun bekommt sie ihre eigene Medizin zu schmecken: Marine Le Pen, die Fraktionsvorsitzende der rechtsradikalen Rassemblement National (RN) in Frankreich, ließ die AfD-Parteichefin eiskalt abblitzen. Nachdem Weidel in einem persönlichen Brief auf Französisch zum Begriff „Remigration“ Abitte leisten sollte, zeigte Le Pen sich gänzlich unbeeindruckt: „Da bleiben viele Fragen ungeklärt – es hat mir auch nicht sonderlich gefallen, den Inhalt des Schreibens aus der Presse zu erfahren, bevor ich es erhalten habe“, sagte Le Pen. Die Beziehungen zwischen AfD und RN sind damit weiterhin frostig.

Worum ging es? Die Correctiv-Enthüllungen zum Potsdamer Geheimtreffen zwischen hochrangigen AfD-Politikern und dem Chef-Identitären Martin Sellner ziehen mittlerweile für die extrem rechte Partei auch international Konsequenzen nach sich. Während immer mehr Treffen von AfD-Politikern mit dem Rechtsextremisten Sellner bekannt werden, hatte sich nach den ersten Enthüllungen auch Le Pen deutlich von der AfD und deren rassistischen Vertreibungsplänen distanziert – die ihr deutsches Pendant unter dem Stichwort „Remigration“ verharmlost.

Le Pen hatte nach Bekanntwerden des Treffens mit Blick auf die AfD von „krassen Meinungsunterschieden“ gesprochen und behauptet, dass sie „nie eine Politik der Remigration“ verfolgt habe, „die beinhalten würde, Menschen die französische Staatsangehörigkeit zu entziehen“, so Le Pen. Sie stellte gar infrage, ob man künftig noch gemeinsam in einer Fraktion im Europaparlament sitzen könne. Am Potsdamer Treffen nahm auch der persönliche Referent der AfD-Chefin Alice Weidel teil, den sie nach der Veröffentlichung entließ.

Keine Entspannung bei Risotto und Tiramisu

Letzte Woche reiste Weidel dann nach Paris, um bei Le Pen die Wogen zu glätten. Weidel gab sich nach dem zweieinhalbstündigen Treffen bei Risotto und Tiramisu mit Le Pen und RN-Chef Jordan Bardella versöhnlich. Man habe festgestellt, dass man die gleichen Lösungsansätze verfolge, sagte sie und bedankte sich für den „herzlichen Empfang“.

Dass es bei beiden rechten Parteien grundsätzliche Übereinstimmungen gibt, ist zwar richtig – allerdings sind ihre Strategien grundverschieden: Le Pen setzt anders als die AfD auf Verharmlosung und politische Anschlussfähigkeit und nicht auf Radikalisierung und maximale Fundamentalopposition. Den AfD-Kurs sieht in Europa dabei nicht nur Le Pen schon länger kritisch – auch bei Netzwerk-Veranstaltungen des ungarischen Staatschefs Victor Orbán war die AfD zuletzt nicht eingeladen.

Sich von der AfD zumindest formal abzugrenzen, könnte Le Pen wiederum innenpolitisch helfen, um sich als vermeintlich gemäßigt darzustellen, vor allem, nachdem der von ihrer Partei befeuerte Rechtsruck in Frankreich bereits in ein verschärftes Einwanderungsrecht mündete.

Ein Dorn dürfte Le Pen und den europäischen Partnern der AfD auch die Nominierung von Maximilian Krah zum Spitzenkandidaten für die Europawahl sein. Krah macht sich bei jeder Gelegenheit für den Radikalkurs seiner Partei stark. Kritisch sieht man beim RN, dass er die Nähe zu Le Pens rechtsextremem Konkurrenten Éric Zemmour gesucht hatte, was in der gemeinsamen Fraktion sogar zu Ordnungsmaßnahmen gegen Krah führte.

Auch hatte Krah in der Vergangenheit einen ehemaligen RN-Mitarbeiter eingestellt, der dort wegen Antisemitismus entlassen wurde. Hinzu kommt, dass Le Pen den von der rechtsextremen Identitären Bewegung geprägten Begriff „Remigration“ ablehnt, mit dem in Frankreich Zemmour Wahlkampf auch gegen den RN gemacht hatte.

Entsprechend klang das Ergebnis des Treffens aus Le Pens Sicht auch ganz anders als bei Weidel: So versicherte ein hochrangiger RN-Politiker dem französischen Radiosender France Inter, dass die französischen Parteispitzen beim Mittagessen mit Weidel eine schriftliche Zusage verlangt hätten, dass „Remigration“ niemals Teil des AfD-Programms sein werde. Auf taz-Anfrage bestätigte Weidel die Aufforderung nach einer schriftlichen Erklärung im „Nachgang des Treffens“. Man habe dem RN einen Brief geschickt.

Keine Distanzierung möglich

In dem der taz vorliegenden, zweiseitigen Brief von Alice Weidel an Marine Le Pen distanziert sich die AfD-Chefin allerdings kein Stück vom Begriff „Remigration“, sondern spielt ihn runter und verteidigt ihn. Weidel behauptet, der Begriff bedeute im Deutschen lediglich die Anwendung bestehender Gesetze. Dabei ist zwar richtig, dass der Begriff ursprünglich aus der Forschung stammt – allerdings arbeiten Rechtsextremisten seit geraumer Zeit daran, den Terminus als vermeintlich harmloses Wort für ihre rassistischen Ziele zu kapern.

In dieser Weise verwendete ihn auch Martin Sellner. Beim Potsdamer Treffen sprach der Rechtsextremist laut Correctiv davon, missliebige Deutsche mit Migrationshintergrund mit maßgeschneiderten Gesetzen unter Druck setzen zu wollen – mit dem Ziel, sie letztlich zu vertreiben. Mittlerweile taucht der Begriff in der öffentlichen Debatte vor allem als rechtsextremer Kampfbegriff für einen ethnisch-homogenen Staat auf.

Der Rest des Schreibens erschöpft sich in verschwörungsideologischen Unterstellungen, Correctiv betreibe mit „hinterlistigen Vergleichen, Dramatisierungen und Lügen“ eine regierungsgesteuerte Kampagne gegen die AfD.

Dabei stellt Weidel Behauptungen auf, die sich an der Grenze zur Lüge bewegen: Weidel schreibt, dass das „linksradikale“ Medienunternehmen Correctiv mehrere Millionen Euro jährlich von der Bundesregierung erhalte, und legt nahe, dass Correctiv staatlich gelenkt sei.

Richtig ist: Ausweislich ihrer Website bekommt das als gemeinnützig anerkannte Rechercheportal zwar staatliche Förderung, allerdings 2023 lediglich eine halbe Million Euro, der größte Teil der Finanzierung sind private Spenden sowie gemeinnützige Stiftungen. Externen Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung schließt die Redaktion aus.

Dann behauptet Weidel, dass die „Lügenkonstruktion“ von Correctiv zusammenbreche und Teilnehmer erfolgreich gegen die Berichterstattung vorgingen. Tatsächlich klagen Teilnehmer des Potsdamer Treffens gegen die Berichterstattung von Correctiv, bisher allerdings mit mäßigem Erfolg. Die Kernaussagen der Recherche stehen weiter.

Kurzum: Der Brief ist eine Schimpftirade gegen die Pressefreiheit und das gewohnte Suhlen in der Opferrolle. Der Ton wirkt eher distanziert, Weidel spricht Le Pen mit „Madame“ an, die vom RN geforderte Distanzierung von „Remigration“ bleibt sie schuldig. Kein Wunder also, dass Le Pen das Schreiben wenig überzeugend findet.

Remigration fester Teil des AfD-Programms

Eine Distanzierung wäre allerdings auch wenig glaubhaft gewesen: Denn die sogenannte „Remigration“ ist längst Teil der AfD-Programmatik und steht sogar wörtlich im aktuellen Europaprogramm. Dort fordert die AfD „Resettlements“, Umsiedlungsprogramme aus Europa, sowie „Remigrationsprogramme auf nationaler und europäischer Ebene“.

Zudem ist völkisches Denken mittlerweile Mainstream in der AfD. Im Zuge der Enthüllungen unterstrichen verschiedene hochrangige AfD-Politiker, dass „millionenfache Remigration“ eben kein „Geheimplan“ sei, sondern ein „Versprechen“. Der Begriff taucht in AfD-Bundestagsreden auf, auf Social-Media-Sharepics, als Parole in einem AfD-Kalender mit Bildern von „Abschiebefliegern“.

Ebenso wollte die AfD die Debatte um die verfassungswidrigen Sellner-Pläne ausgerechnet damit einfangen, dass sie den Begriff als vermeintlich im Einklang mit dem Rechtsstaat darstellte und eine Neu-Definition quasi als Grundsatz-Positionierung veröffentlichte. Dies ganz offen im Namen des Bundesvorstands, verabschiedet im Bundesfachausschuss.

Auch die Fraktionsvorsitzenden in den Ost-Bundesländern haben direkt nach der Correctiv-Enthüllung ein gemeinsames Positionspapier herausgegeben, in dem sie den Begriff „Remigration“ verteidigen.

Die völkisch dominierten Landesverbände schreiben hier, dass man das Staatsangehörigkeitsrecht zurückdrehen wolle, und formulieren ähnliche Ziele wie der Rechtsextremist Sellner. Man wolle Maßnahmen ergreifen, um den „Assimilationsdruck auf nichtintegrierte Ausländer zu erhöhen“ und „Anreize“ schaffen, „um nichtintegrierten Migranten die Heimkehr zu ermöglichen“, heißt es auch dort als offizielle AfD-Position. Der Begriff „Remigration“ ist in diesem Sinne also längst Teil der Programmatik.

Sellner, der bis vor Kurzem noch von einem „meta-politischen“ Erfolg sprach, weil nach der Recherche nun überall von „Remigration“ die Rede sei, empfiehlt aber mittlerweile selbst auf seinem Telegram-Kanal seinen Anhängern, den aufgeladenen Begriff im Zweifel zu vermeiden – „wenn ihr euch in eurem Umfeld und eurer Position nicht traut ‚Remigration‘ zu sagen: Begriffe sind wichtig – aber nicht alles“. Er empfehle in solchen Situationen weniger aufgeladene Begriffe. Für die AfD ist es dafür deutlich zu spät.

Weidel wollte sich auf taz-Anfrage nicht zu Le Pens Reaktion auf den Brief äußern. In Kreisen des Bundesvorstands tat man Le Pens Reaktion allerdings als „machttaktisches Geplänkel im Vorfeld der Wahl und der Fraktionsbildung“ ab. Das Verhältnis bleibt also zunächst frostig.

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