Katastrophe in Gaza-Stadt: Die Warnungen endlich ernst nehmen

Israelische Soldaten schossen bei einem Massenansturm auf eine Hilfslieferung. Der Fall zeigt: Der Hunger ist real, Gaza braucht einen Waffenstillstand.

Eine Menschenmenge wartet auf Essensrationen.

Palästinenser in Gaza erleiden extremen Hunger Foto: Omar Ashtawy/imago

Dutzende, wahrscheinlich mehr als hundert Tote an einem Tag. Eigentlich, man muss es so sagen, ist das nichts Besonderes im Gazakrieg. Dennoch hat das, was Donnerstag geschah, eine neue Qualität. Tausende Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen trafen auf eine israelische Militäreinheit, nachdem sich eine Massendynamik um einen Lkw-Hilfskonvoi entwickelt hatte. Die Sol­da­t*in­nen fühlten sich bedroht, sie schossen.

Zwar ist nicht egal, was genau geschah. Sollten die Sol­da­t*in­nen auf unschuldige Zi­vi­lis­t*in­nen geschossen haben, könnte das ein Kriegsverbrechen darstellen. Israel gibt allerdings an, nur wenige Menschen seien erschossen worden, aus Notwehr. Die meisten der Opfer seien totgetrampelt oder von den Lkws überrollt worden.

Doch unabhängig vom genauen Ablauf steht fest: Dass es überhaupt zu einem Massenansturm verzweifelter Menschen auf einen Hilfskonvoi kam, zeigt, wie ernst die Warnungen sämtlicher großer Hilfswerke zu nehmen sind. Seit Wochen warnen sie vor dem Hungertod der Menschen, ja sogar vor einer echten Hungersnot in Nord-Gaza, wo die Tragödie vom Donnerstag stattfand. Mehr als eine halbe Million Menschen leiden bereits unter „katastrophalem Hunger“, der höchsten Stufe auf der IPC-Skala zur Messung von Ernährungsunsicherheit.

Seit Wochen klagen sie, dass es kaum noch möglich ist, Hilfe zu leisten – und zwar wegen genau dieser unkontrollierbaren Menschenmengen, Chaos bei der Essensverteilung, Überfällen auf Hilfskonvois und Plünderungen. All das ist nicht neu. Das Welternährungsprogramm musste seine Hilfe für Nord-Gaza daher komplett einstellen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis etwas schiefläuft.

Die Organisationen hatten recht

Den Hilfsorganisationen gegenüber scheint eine gewisse Skepsis zu bestehen, nach dem Motto: Na ja, sie warnen vor Chaos und Hunger, aber wer weiß, ob sie nicht wieder übertreiben in ihrer einseitig pro­palästinensischen Haltung. Nein, das tun sie offenbar nicht.

Israels Krieg mag ausschließlich der Hamas gelten, die ihn mit ihrem genozidalen Massaker vom 7. Oktober ausgelöst hat. Aber das Militär zerstört nun regelrecht den Gazastreifen, es zerstört die Infrastruktur, es zerstört die Wirtschaft, und es zerstört die Menschen, physisch und psychisch – und das nachhaltig.

Die Menschen in Gaza können nur überleben, wenn ihnen geholfen wird. Damit sie Hilfe im großen Stil erreichen kann, braucht es eine längere humanitäre Feuerpause – und zwar sofort. Unabhängig davon braucht es einen weiteren Geisel-Gefangenen-Austausch, der dann endlich den Weg zu einem permanenten Waffenstillstand ebnet. Für jetzt gilt: Hört auf die Hilfsorganisationen! Sie wissen, wovon sie reden. Mehr als warnen können sie nicht.

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ist Redakteur für Nahost & Nordafrika (MENA). Davor: Online-CVD bei taz.de, Volontariat bei der taz und an der Evangelischen Journalistenschule Berlin, Studium der Islam- und Politikwissenschaft in Berlin und Jidda (Saudi-Arabien), Arabisch in Kairo und Damaskus. Er twittert unter twitter.com/jannishagmann

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