Zaunpläne für den Görlitzer Park: Umzäunt den Görli

Als langjährige Anwohnerin bin ich dafür, es mit einem Zaun um den Görlitzer Park zu probieren. Aber nur, wenn auch den Elenden geholfen wird.

An einem Zaun hängt ein Banner auf dem steht: Housing first statt Polizei.

Ein Zaun schützt vor Elend nicht. Ein Banner am Zaun im Görlitzer Park fordert im Januar „Housing First statt Polizei“ Foto: Jürgen Held/imago

Seit 20 Jahren lebe ich direkt am Görlitzer Park, im Wrangelkiez. Ich habe Reisebusse mit fotografierenden Rentnern und Partytouristen überlebt, Diagonalpoller, die 1. McDonald’s-Filiale, die Bebauung der letzten Brache und einen nicht laufenden Möbelladen, der Rasiersalon, Tattooshop und Co-Working-Space wurde.

Jetzt will ich zum ersten Mal weg.

Nicht, weil ich Dealer und hin und wieder mal einen Junkie, eine Leiche oder einen Obdachlosen vor der Haustür oder am U-Bahnhof nicht ertrage. Das gehört zur Großstadt. Sondern weil die Verhältnisse, die sich in den vergangenen Jahren schleichend verschlimmerten, im vergangenen Jahr explosionsartig durchgeknallt sind: Aus einer latent angespannten Stimmung wurde eine aggressive, morbide, apokalyptische Szenerie. So krass, dass ich vergangenen Sommer einige Zeit aus meiner Wohnung floh. Aus Angst, einer der Junkies, die in unserem Treppenhaus schliefen und konsumierten, könnte in einem Moment der Verzweiflung oder des Kontrollverlusts mir ein Messer ans Ohr halten oder in meine Wohnung einbrechen.

Paranoia? Sicher. Aber nur weil du denkst, dass du paranoid bist, heißt das nicht, dass nicht auch dir passieren könnte, was etlichen Nachbarn in diesem Viertel im vergangenen Jahr passiert ist.

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Seit einigen Wochen hat sich die Lage etwas beruhigt. Ich werde morgens nicht mehr vom Husten eines obdachlosen Crack-Junkies vor meiner Wohnungstür geweckt. Ich schlafe nicht ein, während draußen jemand verzweifelt flucht, klagt, weint, brüllt. Ich traue mich, wieder nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause zu kommen. Und draußen kreisen meine Gedanken nicht durchgängig darum, wie es wohl nachher sein wird im Treppenhaus. Sondern nur noch etwa ein Mal die Stunde.

Für Berlintouristen aber ist der Besuch des Görli Standardprogramm mit Thrill-Faktor. Er ist die Real-Life-Version vom Heidepark Soltau: statt Achterbahn Toxic Garden zu fahren, laufen Sie Schlangenlinien durchs Spalier der Dealergruppen; statt über kostümierte Live-Erschrecker beim Zombie-Escape zu lachen, begegnen Sie echten Untoten mit offenen Wunden. Die „Wiese“ ist inzwischen mit einer Dichtmasse aus Kronkorken, Zigarettenfiltern, Kondomen, Spritzbestecken, Plastiktüten, Hundekacke und Menschenkotze versiegelt und undurchlässiger, als es die Berliner Mauer es je war.

Die Durchgänge der Mauer, mit der der Görli umgeben ist, will Bürgermeister Kai Wegner (CDU) nun mit Zaunanlagen versehen, die nachts verschlossen werden sollen. Unter den Anwohnern gibt es dazu zwei Haltungen: Die einen glauben, dass das nichts bringt, weil dann die Dealer und Junkies sich noch mehr in die Wohnviertel und Treppenhäuser zurückziehen. Die anderen sind der Meinung, dass bisher zwar nichts irgendwas gebracht hat, nicht die täglichen Razzien, nicht die 329 Mülleimer, nicht die Parkläufer und nicht das Nichtstun („Die Dealer gehören dazu“, Ex-Bezirksbürgermeisterin Herrmann von den Grünen) – dass aber noch niemand versucht hat, ob es was bringt, den Park nachts abzuschließen.

Der Regierende Bürgermeister sagt, der Zaun kommt auf jeden Fall, erst mal als Test, begleitet von Ideen der grünen Bezirksbürgermeisterin wie aufsuchende Sozialarbeit und Drogenkonsumangebote. Die grüne Bezirksregierung will den Zaun auf keinen Fall. Sie lässt sich lieber mit Aktivisten fotografieren, die Schilder „Gegen Gentrifizierung“ hochhalten. Sie sagen: Würden Zäune gegen Crack-Abhängigkeit helfen, wären die USA voll davon. Ich sage: Würden Schilder „Gegen Gentrifizierung“ was helfen, hätten wir in Berlin kein Wohnungs- und kein Mietenexplosionsproblem.

Ich bin für den Zauntest. Unter der Bedingung, dass alle verfügbaren Maßnahmen zur Eindämmung von Drogen­abhängigkeit umgesetzt werden. Ich glaube allerdings, dass dazu zwingend das Prinzip „Housing first“ gehört: allen, die auf der Straße sind, Wohnräume verschaffen. Davon aber reden weder die Grünen noch der Regierende Bürgermeister. Dazu ist Berlin nicht bereit. Meine Testidee: leer stehende Berliner Büroräume in betreute Wohnanlagen für Obdachlose und Drogenkranke umwandeln.

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

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