Nachruf auf Ingrid Strobl: Die Pionierin mit dem Wecker

Ingrid Strobl recherchierte die Geschichte von Frauen im Widerstand gegen den NS. Wegen eines Weckers saß sie fünf Jahre in Haft. Nun ist sie gestorben.

Eine Frau mittleren Alters lächelt leicht in die Kamera

Ingrid Strobl in Köln im Jahr 2020 Foto: Jörn Neumann

Im Jahr 1989 sitzt Ingrid Strobl in Isolationshaft. Wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion muss sie fünf Jahre Haft absitzen. Währenddessen erscheint ihr Buch über Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus und wird zum Bestseller. Die Recherchen zu „Sag nie, du gehst den letzten Weg“ hatte sie so gut wie fertig, als sie ins Gefängnis kam. Das Buch gilt bis heute als Standardwerk.

Verurteilt worden war Strobl, weil sie einen Wecker gekauft hatte, einen Emes-Sonochron, Seriennummer 6457. Diesen Wecker hatte die linksradikale Gruppe Revolutionäre Zellen, genannt RZ, 1986 in einer Bombe verarbeitet, die bei einem Anschlag auf ein Verwaltungsgebäude der Lufthansa in Köln explodierte. Die RZ wollten mit dem Anschlag Sextourismus skandalisieren, zu dem die Flüge in den Fernen Osten beitrugen.

Die Solidarität mit der damals schon als Journalistin bekannten Ingrid Strobl war riesig. Die Freilassungskampagne, die unter anderem von der Autorin Katja Leyrer und dem damaligen taz-Redakteur Oliver Tolmein initiiert wurde, unterstützten Prominente wie Elfriede Jelinek, Dieter Hildebrandt und Jan Philipp Reemtsma. Jahrzehntelang galt Strobl als politische Gefangene, die unschuldig im Gefängnis saß und die Opfer der Verdachtsjustiz im Rahmen der RAF-Verfolgung geworden war. Dass Strobl den Wecker gekauft hatte, stand außer Frage.

Frauen im Gefängnis

Dass sie gewusst hatte, wofür der Wecker benutzt werden würde, hat sie erst 30 Jahre später zugegeben. In ihrem Buch „Die vermessene Zeit. Der Wecker, der Knast und ich“, das sie 2020 veröffentlichte, erinnert sie sich an ihre Jahre im Gefängnis. Detailliert erzählt sie davon, wie sie sich Disziplin auferlegte und im Gefängnis die Recherchen an „Die Angst kam erst danach“ aufnahm, ihrem nächsten Buch zu jüdischen Frauen im Widerstand.

Sie erzählt von den verschiedenen Begegnungen mit Frauen im Gefängnis, insbesondere von den Schließerinnen, die ihr unter anderem halfen, Bücher in ihre Zelle zu bekommen. Ein außergewöhnlicher Blick für eine linke politische Gefangene dieser Jahre, denen sämtliche Gefängnisangestellten doch eigentlich als Handlanger des kapitalistischen Schweinesystems galten.

Außergewöhnlich ist Strobl sowieso. Geboren im Jahr 1952 im österreichischen Innsbruck und aufgewachsen in sehr bescheidenen Verhältnissen, kämpft sie für ihren eigenen Weg, studiert Germanistik und Kunstgeschichte und wird an der Uni Wien mit einer Promotion über „Rhetorik im Dritten Reich“ Dr. Ingrid Strobl. Sie engagiert sich in der Frauenbewegung, arbeitet freiberuflich als Journalistin für den ORF und zieht schließlich nach Köln, wo sie 1979 Redakteurin des Frauenmagazins EMMA wird. 1986 verlässt sie die EMMA und arbeitet freiberuflich für den WDR.

Geschichten ohne Preise

Als Ingrid Strobl 1990 aus dem Gefängnis entlassen wird, nimmt der WDR sie wieder auf, wo sie bis in diese Tage beschäftigt war und Geschichten recherchierte, für die es wenig Aufmerksamkeit und keine Journalistenpreise gab, wie jene der drogenabhängigen Frauen auf dem Straßenstrich, über die sie ebenfalls ein Sachbuch veröffentlichte.

Zeit ihres Lebens hat sich Ingrid Strobl mit der Geschichte der Frauen beschäftigt und unermüdlich recherchiert und publiziert. Sie hat Hörfunkfeatures und Dokumentarfilme produziert und Dutzende Bücher veröffentlicht.

Sie hat sich nach ihrem Gefängnisaufenthalt nicht weiter mit sich selbst beschäftigt, sondern die Schicksale anderer Frauen in den Vordergrund gestellt. Es war Ingrid Strobl, die Chaika Grossmans Buch über den jüdischen Widerstand in Bialystok „Die Untergrundarmee“ übersetzte und das Vorwort zur deutschen Ausgabe schrieb.

Ihr Dokumentarfilm „Mir zeynen do!“ über den Ghettoaufstand und die Partisaninnen von Bialystok liegt in hebräischer Übersetzung auch in den Archiven Yad Vashem und Beit Lochamej haGeta’ot. 1995 kuratierte Ingrid Strobl unter anderem mit Arno Lustiger die Ausstellung „Im Kampf gegen Besatzung und ‚Endlösung‘. Widerstand der Juden in Europa 1939–1945“ für das Jüdische Museum Frankfurt.

In einem Gespräch, das die Autorin mit Ingrid Strobl im Jahr 2020 für die taz geführt hat, sagte sie über ihre Motive, den Terror der RZ zu unterstützen: „… ich finde keine Antwort auf die Frage, was ich damals gedacht und warum ich das gemacht habe. Ich frage mich nie, warum ich in der Frauenbewegung war und mich dort so engagiert habe. Aber woher diese furchtbare Radikalität kam, schon. Da war richtig Hass in mir. Es mag sein, dass es bei mir ein verschobener Klassenhass war, aber das ändert ja nichts daran, dass das nichts mit meinem Wesen zu tun hatte.“

Ingrid Strobl ist am 25. Januar in Köln gestorben.

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