Stadt Göttingen kauft Schrottimmobilie: „Das Heft des Handelns“

Am Hagenweg in Göttingen lässt die Mehrheitseigentümerin einen Wohnkomplex verfallen. Nun will die Stadt Appartements kaufen und die Zustände ändern.

Heruntergekommene und teilweise vollgestellte Balkone des Wohnhauses am Hagenweg 20 in Göttingen.

Alle 119 Wohnungen im Komplex Hagenweg 20 will die Stadt kaufen und die Immobilie dann abreißen Foto: Stefan Rampfel

GÖTTINGEN taz | Nach vielen Jahren leerer Versprechen und weitgehend folgenloser Ankündigungen macht die Stadt Göttingen jetzt Ernst bei der Problemimmobilie im Hagenweg 20. In einer Sondersitzung beauftragte das Kommunalparlament einstimmig die Verwaltung, 119 weitere Wohnungen in dem heruntergekommenen Gebäude zu kaufen.

Mittelfristig wäre die Stadt damit Mehrheitseigentümer. Auf längere Sicht will sie alle Appartements erwerben und das Haus abreißen. Einem Sozialkonzept, das jederzeit nach Entwicklung angepasst werden soll, hat der Rat ebenfalls einstimmig zugestimmt.

Rund 140 Menschen sind als Bewohner im Wohnkomplex Hagenweg 20 in der Göttinger Weststadt gemeldet. Insgesamt 165 zumeist kleine Ein- bis Zwei-Zimmer-Appartements verteilen sich auf bis zu sechs Etagen und bieten gut 4.000 Quadratmeter Wohnfläche. Die bisherigen Eigentümer haben das Haus weitgehend verwahrlosen lassen, Medienberichte über Kakerlaken- und Rattenbefall machten es auch bundesweit bekannt.

„Für die Eigentümer war der Hagenweg 20 bislang eine sichere Bank“, sagte Göttingens Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD) in der Debatte des Stadtrates. „Unter welchen Bedingungen die Menschen dort leben, spielte für sie allenfalls eine untergeordnete Rolle. Doch diese Zeiten sind vorbei. Wir wollen das Heft in die Hand nehmen und die Sanierung vorantreiben, vor Ort gestalten und die Lebenssituation der Menschen verbessern, dafür braucht es Mut, als Stadtverwaltung auch neue Wege zu gehen.“ Die bisherige Struktur der Eigentumsverhältnisse habe es der Stadt nicht möglich gemacht, Sanierungen und Instandsetzungen am Wohnkomplex zum Wohle der Menschen durchzusetzen.

Erst Mehrheits- dann Alleineigentümerin

22 Wohnungen sind bereits im Besitz der Stadt. Sie werden, sofern sie nicht ohnehin schon leer stehen, nicht neu vermietet, wenn die Bewohner ausziehen. Neun weitere Wohnungen können kurzfristig erworben werden, dabei dürfte es dem Vernehmen nach keine Schwierigkeiten geben.

Die notwendige Mehrheit, um dringende Sanierungen und im Idealfall einen Abriss und Neubau durchzusetzen, erreicht die Stadt damit aber noch nicht. Deshalb strebt sie an, zunächst die Mehrheitseigentümerin und damit zur „Sanierungstreiberin“ zu werden. Die Alleineigentümerschaft bleibe „das langfristige Ziel, um auch durch Abriss und Neubau gestalten zu können“.

Die 119 Wohnungen, welche die Stadt nun zusätzlich kaufen möchte, waren im Sommer von der bisherigen Mehrheitseigentümerin „Seil Real Estate“ über ein Onlineportal zum Verkauf angeboten worden. Der Kaufpreis wurde damals mit 2,6 Millionen Euro angegeben – für eine Grundstücksfläche von knapp 3.700 Quadratmetern und mehr als 3.100 Quadratmetern vermietbarer Fläche. Die jährlichen Mieteinnahmen für die zum Verkauf stehenden Wohnungen sollen den Angaben zufolge bei 212.000 Euro liegen. Zuletzt lag der aufgerufene Kaufpreis noch bei 2,26 Millionen Euro.

Angeblich hat die „Seil Real Estate“ zwischenzeitlich das Kaufangebot eines Dritten angenommen. Da die Immobilie aber im Sanierungsgebiet Weststadt liegt, hält die Verwaltung diesen Kaufvertrag – sofern er tatsächlich existiert – bis zur sanierungsbehördlichen Genehmigung für „schwebend unwirksam“. Sie will nun Gespräche mit der Verkäuferin und dem mutmaßlichen Käufer über eine mögliche Rückabwicklung des Vertrags führen.

Unklare Kosten

„Wir haben einen langen Weg vor uns“, räumt Broistedt ein. „Egal, ob die Stadt Minderheits-, Mehrheits- oder Alleineigentümerin ist – eine schnelle Lösung wird es nicht geben.“ Auf dieser langen Strecke werde es auch Niederlagen geben.

Welche Kosten nach dem Kauf der Wohnungen auf die Kommune zukommen, ist noch völlig offen. Es gebe noch keine Kostenschätzung, so Broistedt, weder für eine Sanierung noch für einen Abriss. Erst einmal aber müsse man eine Bestandsaufnahme machen. Ziel sei in jedem Fall, auch die dann noch verbleibenden 15 Wohnungen zu kaufen, nur so könne die Stadt „das Heft des Handelns in die Hand nehmen“.

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