Bekleidungsregeln an Schulen: Immer diese Jogginghosen

Was genau bedeutet „angemessene Kleidung“? Wer glaubt, über Bekleidungsregeln an Schulen nachdenken zu müssen, hat keine richtigen Probleme.

Eine Schülerin sitzt in einer Jogginghose auf dem Schulhof einer Schule.

Für manche ein Problem: Jogginghosen-Gebrauch in der Schule Foto: dpa | Lars Klemmer

Gerade ging das Thema wieder durch die Medien: Bekleidungsregeln an Schulen. Die Vorsitzende unseres Bundeselternrates meint, diese könnten gestresste Eltern bei der morgendlichen Klamotten-Diskussion deutlich entlasten.

Ich finde, der Verzehr des Brotdoseninhaltes sollte dann ebenfalls verpflichtend werden, samt Karotte. Noch mehr entlasten würde es mich, wenn die Stullen von den Lehrkräften geschmiert werden. Außerdem sollte die Schule vorschreiben, dass Hausaufgaben initiativ und motiviert zu erledigen sind. Verstöße melden Eltern bei den Lehrkräften, die sowieso nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen.

Zum Glück haben wir keine richtigen Probleme an den Schulen, da beschäftigen sie sich gerne damit, was „angemessene Kleidung“ konkret bedeutet und übernehmen außerdem deren Kontrolle sowie die Bestrafung bei Verstößen. Am besten misst morgens ein Lehrer am Schultor mit einem Geodreieck ganz exakt Tiefe und Winkel des Ausschnitts und wie weit der Rock jeweils über den Hintern geht. Dann können zu knapp bekleidete Schü­le­r*in­nen umgehend wieder nach Hause geschickt werden ­– und die mit Löchern in den Klamotten und Jogginghosen natürlich erst recht.

Was haben die Leute bloß mit den Jogginghosen? Ich finde es diskriminierend, sie als „lottrig“ oder „asozial“ zu bezeichnen. Ich bin zwar auch nicht zwingend begeistert von den Jogginghosen meiner Kinder, aber ich käme im Traum nicht auf die Idee, meiner Tochter zuzureden, sich stattdessen in eine Skinny-Jeans zu zwängen. Solche hautengen Stretch-Hosen galten übrigens zu meiner Zeit als unangemessen, weil sie angeblich zu aufreizend waren.

Einmal hörte ich andere Mütter über die Jogginghosen meines Sohns sagen, sie fänden es unmöglich „so ein“ Kind auch noch „so“ anzuziehen

Einmal hörte ich andere Mütter über die Jogginghosen meines Sohns sagen, sie fänden es unmöglich „so ein“ Kind auch noch „so“ anzuziehen. Sie meinten wohl, ich sollte versuchen, mit einer schicken Hose seine Behinderung auszugleichen. Ich dagegen finde, Willi hat das Recht, die Hose zu tragen, die er möchte und die er selbständig an- und ausziehen kann. Ich frage mich, ob es bei einem Jogginghosenverbot an Schulen wohl für diejenigen, die keine Knöpfe auf und zu machen können eine Ausnahmeregelung geben wird? Wahrscheinlich bräuchte es ein extra Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis: Ich schlage „JB“ für „Jogginghosenberechtigt“ vor“.

Unsere Bundeselternratsvorsitzende erzählt auch, dass sich manche Leh­re­r*in­nen unangenehm berührt davon fühlen, wenn sich in Jogginghosen das männliche Geschlechtsteil abzeichne – das kann ich verstehen. Dies kann meiner Erfahrung nach allerdings durch das Tragen einer Windel unter der Jogginghose sehr einfach verhindert werden. Gleichzeitig könnten die Lernenden (oder die Lärmenden) auf diese Weise nicht mehr ständig unter dem Vorwand das Klassenzimmer verlassen, auf die Toilette zu müssen.

Aber im Ernst: Mancher hält das Tragen von Jogginghosen wohl für respektlos. Doch im Vergleich zu anderen Respektlosigkeiten in Schulen, die oft das Unterrichten unmöglich machen, sind sie wohl doch nicht das drängendste Problem. Mir ist es lieber, dass meine Tochter im Schlabberlook statt halbnackt zur Schule geht – aber eher wegen der Blasenentzündung als wegen der abgelenkten Jungs.

Ich wundere mich nur, dass wir über Kleiderordnungen diskutieren, statt ernsthaft zu schauen, warum unsere Kinder unbedingt wie stereotype Sexsymbole aussehen wollen oder warum ihnen grundlegende Konzentrations- und Kommunikationsfähigkeiten fehlen. Ein Blick auf die Art und Menge ihres Medienkonsums gäbe eine schnelle Antwort – und dafür sind wir gestresste Eltern bis jetzt leider ganz allein verantwortlich.

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Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de

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