Prozessbeginn gegen Ex-Präsident Bolsonaro: Bolsonaro droht Amtsverbot

Im Prozess gegen Brasiliens Ex-Präsident geht es um Amtsmissbrauch und Verstoß gegen das Wahlgesetz. Analysten erwarten Schuldspruch.

Richter Benedito Goncalves hebt bei Prozessesbeginn gegen Brasiliens Ex-Präsident Bolsonaro warnend den Zeigefinger

Richter Benedito Gonçalves bei Prozessesbeginn gegen Brasiliens Ex-Präsident Bolsonaro Foto: Ueslei Marcelino/rtr

BERLIN taz | Mit „maximaler Objektivität“ werde er den Prozess leiten. Das erklärte Richter Benedito Gonçalves zum Auftakt eines Gerichtsverfahrens, auf das viele in Brasilien mit Spannung gewartet hatten. Ex-Präsident Jair Bolsonaro muss sich seit Donnerstag vor der Obersten Wahlbehörde (TSE) verantworten.

Gegenstand des Prozesses: Ein Treffen mit Di­plo­ma­t*in­nen im Juli 2022. Dort verbreitete Bolsonaro Falschinformationen über elektronische Urnen. Die Anklage wirft ihm Amtsmissbrauch und einen Verstoß gegen das Wahlgesetz vor. Währenddessen erklärte die Verteidigung, Bolsonaro habe „Zweifel an der Transparenz des Wahlprozesses“ ausräumen wollen. Außerdem habe sich der damalige Staatschef bei dem Treffen nicht an Wähler*innen, sondern an ausländische Di­plo­ma­t*in­nen gerichtet.

Mit einem Urteil ist kommende Woche zu rechnen. Fast alle Ana­lys­t*in­nen gehen davon aus, dass Bolsonaro für schuldig erklärt und damit seine politischen Rechte verlieren wird. Das würde bedeuten, dass er bis 2030 von allen Wahlen ausgeschlossen sein wird.

Bolsonaro wäre nicht der erste Ex-Präsident, den ein Gericht für unwählbar erklärt. 2018 verurteilte ein Gericht den derzeitigen Amtsinhaber Luiz Inácio „Lula“ da Silva in zweiter Instanz. Er konnte somit nicht zur Wahl antreten. 2021 wurde das Urteil annulliert und Lula feierte ein spektakuläres Comeback an die Spitze des größten Staates Lateinamerikas.

Umgang mit brisantem Dokument noch unklar

Was für den Rechtsradikalen Bolsonaro ungemütlich werden könnte: Bei einer Razzia im Haus seines Ex-Justizministers Anderson Torres beschlagnahmte die Polizei ein brisantes Dokument. Darauf war ein Plan für die Entmachtung des Obersten Gerichtshofs zu finden, was einem De-facto-Staatsstreich gleichgekommen wäre.

Es wird geprüft, ob das Dokument auch in das aktuelle Verfahren gegen Bolsonaro einbezogen wird. Der Vorsitzende Richter Gonçalves sprach sich dafür aus. Ebenso will die Anklage weitere kontroverse Aussagen Bolsonaros prüfen, was seine Verteidigung um jeden Preis verhindern will. Der ultrarechte Ex-Präsident hatte während seiner Amtszeit immer wieder gegen die demokratischen Institutionen gehetzt und Zweifel am elektronischen Wahlsystem gesät.

Seine Partei, die Liberale Partei (PL), setzt weiter auf Bolsonaro, auch weil er immer noch große Unterstützung in Teilen der Bevölkerung genießt. Sechs Monate nach der Wahl spaltet er weiter das Land. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Quaest sagten 47 Prozent der Befragten, Bolsonaro müsse verurteilt werden. 43 Prozent waren dagegen.

„An der Urne könnte ein ‚toter‘ Bolsonaro mehr wert als ein lebendiger“, schreibt Thaís Oyama, Kolumnistin des Online-Mediums UOL. Die PL könnte versuchen, Bolsonaro zum „Posterboy“ eines rechten Oppositionsführers zu machen. Als mögliche Kandidaten gelten der Gouverneur von São Paulo, Tarcísio de Freitas, und der Gouverneur von Minas Gerais, Romeu Zema.

Beide sind gemäßigter als Bolsonaro und könnten Stimmen aus dem bürgerlich-konservativen Lager zurückgewinnen. Ob sich allerdings eingefleischte Bolsonaro-Fans für sie mit der gleichen Energie wie für ihr Idol in den Wahlkampf stürzen würden, ist unwahrscheinlich.

Verurteilung Bolsonaros wäre nicht sein politisches Ende

Außerdem darf bezweifelt werden, dass sich Bolsonaro als Wahlkampfhelfer abservieren lässt. Am Tag des Prozessauftaktes erklärte er in einem Interview mit der Tageszeitung Folha de São Paulo, „100 Prozent politisch aktiv“ bleiben zu wollen. Drei seiner Söhne mischen ebenfalls in der Politik mit und melden Ambitionen für größere Aufgaben an.

Gerade Eduardo Bolsonaro, der zweitälteste Spross des Ex-Präsidenten, ist gut vernetzt und pflegt enge Kontakte zu rechtsextremen Kräften in der ganzen Welt. Ana­lys­t*in­nen glauben aber nicht an eine Ersatz-Kandidatur für seinen Vater im Jahr 2026. Auch Bolsonaros Frau Michelle, die laut über eine politische Karriere nachdenkt, dürfte keine Chance haben.

Obwohl Bolsonaro in den letzten Wochen rhetorisch abgerüstet hat und sich unlängst gar für einen Kommentar über Corona-Impfstoffe entschuldigte, ist seine Taktik bereits abzusehen: Er wird versuchen, in die Opfer-Rolle zu schlüpfen und bei seinen An­hän­ge­r*in­nen das Narrativ einer Verschwörung des „linken Establishments“ zu nähren.

Auch ist abzusehen, dass Bolsonaro in Berufung gehen und notfalls vor den Obersten Gerichtshof ziehen wird, sollte er verurteilt werden. Dort sind seine Chancen aber gering. Somit wäre eine Verurteilung ein herber Schlag für Bolsonaro, sein politisches Ende wäre es aber noch lange nicht.

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