Der K(r)ampf der Grünen

Die Räumung von Lützerath beschäftigt auch die Bundespolitik – und allen voran die Grünen. Sogar innerhalb der Partei entstehen Konflikte

Ak­ti­vis­t*in­nen der Inter­ventio­nis­tischen Linken bringen gelbe Holzkreuze an der Bundesgeschäftsstelle der Grünen an. Die Kreuze sind Symbol des Protests der bedrohten Dörfer im Rheinland Foto: Florian Boillot

Von Tanja Tricarico, Konrad Litschko und Andreas Wyputta

Die Räumung in Lützerath ist am Mittwoch in vollem Gange, da äußert sich im fernen Berlin Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen), um den Polizeieinsatz zu verteidigen. Protest für Klimaschutz sei richtig, erklärte der Grüne. Aber: „Die leergezogene Siedlung Lützerath, wo keiner mehr wohnt, ist aus meiner Sicht das falsche Symbol.“ Der „Kompromiss“ – Lützerath wird abgebaggert, andere Dörfer dafür aber nicht, dazu ein vorgezogener Kohleausstieg in NRW bis 2030 – sei weiter richtig, so Habeck. Er schaffe Rechtssicherheit und diene dem Klimaschutz.

Doch die Worte können nicht überdecken, dass die Räumung den Grünen schwer zusetzt. Der Vizekanzler hatte mit dem Energieversorger RWE verhandelt, zusammen mit NRW-Energieministerin Mona Neubaur. Auch sie hatte die Räumung bis zum Schluss verteidigt.

Parallel aber beteiligt sich die Parteijugend vor Ort an den Gegenprotesten. Noch am Morgen postet Bundeschef Timon Dzienus von dort ein Selfie mit geballter Faust. „Wir verteidigen Lützerath“, schreibt er dazu. Später beklagt er das große Polizeiaufgebot und eine „unheilvolle Allianz gegen das Klima“ durch die Polizei und RWE, dann wird er von Beamten geräumt.

Auch die Grüne Jugend Nordrhein-Westfalen nennt die Räumung „falsch“. „Wenn wir die 1,5-Grad-Grenze einhalten wollen, muss die Kohle unter der Erde und Lützerath erhalten bleiben“, findet Landeschefin Nicola Dichant. „Deswegen sind auch wir jetzt in Lützerath und stehen für den Erhalt ein.“ Und in Berlin ziehen Kli­ma­schüt­ze­r:in­nen protestierend vor die Grünenzentrale.

Wie schwer sich die Grünen mit dem Einsatz tun, zeigt sich auch daran, dass die Parteichefs Omid Nouripour und Ricarda Lang sich nur kurz im Radio äußern – sonst vorerst kein Statement, kein Tweet zum Räumungsstart. Dafür tun es andere in der Bundespolitik.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit äußerte sich nüchtern zur Räumung in Lüzerath: Die Bundesregierung nehme die teils sehr emotional geführte Diskussion zur Kenntnis. Und: Es gebe eine eindeutige Rechtslage. Die Bundesregierung erwarte, dass geltendes Recht ­eingehalten würde. Angesichts der teilweise krawall­artigen ­Proteste der Ak­ti­vis­t:in­nen in Lützerath äußerte sich Hebestreit eindeutig: Die Bun­des­regierung verurteile die Gewalt. Es sei an den Sicherheitskräften, die Situation vor Ort zu regeln.

Auch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) verurteilt die Übergriffe. Er sei „fassungslos“ über die Gewalt. „Ich verstehe es nicht, wie Menschen so was machen können.“ Friedliche Demonstrierende müssten sich von den Gewaltbereiten dis­tanzieren.

Von solchen friedlichen Demonstrierenden gibt es viele in Lützerath. Und schon am Vormittag beruhigt sich die Lage – zu übermächtig ist das Polizeiaufgebot. Nach taz-Informa­tionen sind am Mittwoch bis zu 5.000 Polizeibeamte im Einsatz. Fast alle Bundesländer schickten Hundertschaften, auch Wasserwerferstaffeln oder Spezialisten. Ein Polizeisprecher lässt Zahl der Festnahmen zunächst offen, spricht aber von mehreren verletzten Beamten und mindestens einem verletzten Demonstrierenden.

Am Nachmittag steht Jochen Kopelke, Chef der Gewerkschaft der Bundespolizei, im Matsch von Lützerath. „Ich erlebe hier einen hochprofessionellen Polizeieinsatz“, sagt er der taz. Die Polizei kommuniziere vor­bildlich. Inzwischen sei „absolute Ruhe eingekehrt“, auch auf Seiten der Demonstrierenden. Die Gewalt sei klar zu verurteilen, doch das Protestspektrum sei sehr heterogen. „Da hatten wir ganz andere Sorgen im Vorfeld.“

Andere sehen den Polizeieinsatz weitaus kritischer. Linken-Chefin Janine Wissler zog bereits am Dienstag in das Protestcamp ein. „Die Linke steht an der Seite der Klimaschutzbewegung, weil Menschen wichtiger sind als Profite“, verkündet sie. Es gehe darum, dass die Klimaschutzziele eingehalten und nicht den Interessen von RWE geopfert würden. Schon länger vor Ort war auch die NRW-Chefin der Linken, Kathrin Vogler. Auch sie beklagt am Mittwoch den „massiven“ Polizeieinsatz, der selbst Demo-Sanitäter nicht durchlasse. „Das ist skandalös.“ Ein Polizeisprecher sagt dazu nur, dass bei Verletzungen professionelle Versorgung jederzeit gewährleistet werde – aber nicht unbedingt private.

Grüne Spitzenfunktionäre aus Landesregierung und Landtagsfraktion wiederholen dagegen ihr Mantra der Vorwochen. Der in Nordrhein-Westfalen von 2038 auf 2030 vorgezogene Kohleausstieg sei „ein Meilenstein für den Klimaschutz“, findet die Co-Fraktionschefin Wibke Brems. „Mitten in einer Energiekrise“ blieben damit 280 Millionen Tonnen Kohle in der Erde, würden „fünf Dörfer und drei Höfe“ gerettet. Allerdings: Der Mittwoch sei „kein leichter Tag für uns Grüne und alle für den Klimaschutz engagierten Menschen“, räumt Brems ein. Als wichtigen „Schritt in Richtung Klimaschutz“ hatte auch der grüne NRW-Umweltminister Oliver Krischer den „Kohlekompromiss“ bezeichnet – schließlich könne dadurch der Tagebau Hambach „um die Hälfte verkleinert“ werden.

SPD-Mann und Oppositionschef Thomas Kutschaty kritisiert vor allem das Schweigen der Regierungsspitze um CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst. Dessen schwarz-grüne Landesregierung habe die politische Entscheidung getroffen, dass die Kohle unter Lützerath abgebaggert werden müsse. „In dieser Phase wäre Führungsverantwortung durch den Ministerpräsidenten angezeigt gewesen. Aber wie immer, wenn es heikel wird, hört man von ihm nichts“, so Kutschaty zur taz.

Offener Brief der Basis-Grünen

Die Kritik erreicht die Grünen auch aus der eigenen Partei. Man könne die Räumung „weder verstehen noch hinnehmen“, heißt es in einem offenen Brief vom Mittwoch, den vorerst gut 250 Basis-Grüne unterzeichneten, darunter die Berlin-­Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Canan Bayram und die frühere Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann. „Der Deal mit RWE droht mit den Grundsätzen unserer Partei zu brechen.“ Die Räumung müsse „sofort und dauerhaft“ gestoppt werden.

Gleiches forderten am Mittwoch auch rund 200 Kulturschaffende in einem offenen Brief, darunter Katja Riemann, Igor Levit oder die Bands Deichkind und Revolverheld. Man stelle sich „soldiarisch an die Seite der Klimaprotestierenden in Lützerath“. Und auch die „Scientists for Future“, ein Verbund klimaprotestierender Forscher:innen, forderten in einem offenen Brief ein Moratorium für die Räumung.

Dazu wird es wohl nicht kommen. Die Polizei kündigte an, dass sich ihr Einsatz noch eine Weile hinziehen werde. Und dass man nur Vollzugshilfe für den Landkreis leiste. Auch der Protest kündigte Ausdauer an. Für Samstag soll eine Großdemonstration in Lützerath stattfinden. Sogar Greta Thunberg wird kommen.