Notfallplan für Flüchtlingsunterbringung: Flüchtlinge sollen in Zelte

Berlin aktiviert den Notfallplan für die Unterbringung von Geflüchteten. Schuld seien die anderen Bundesländer. Doch stimmt das?

Ein Junge läuft mit einem Roller und einer Frühstücksration in der Hand über das Gelände der Flüchtlingsunterkunft in der ehemaligen Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Berlin an Zelten vorbei, in denen die Geflüchteten untergebracht sind.

Bald müssen in Berlin ankommende Flüchtlinge wieder in Zelten leben Foto: dpa/Gregor Fischer

BERLIN taz | Flüchtlinge, die in Zelten und Turnhallen schlafen müssen, überforderte Ämter, ausgebrannte Hel­fe­r*in­nen – eigentlich sollten sich diese Bilder aus dem Jahr 2015 nicht wiederholen. Dennoch steht Berlin sieben Jahre später vor einem ähnlichen Szenario: Am Mittwoch rief Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) die erste Stufe des Notfallplans bei der Unterbringung von Geflüchteten aus. Auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel soll nun ein Zelt mit rund 900 Schlafplätzen aktiviert werden, auch die beschleunigte Anmietung von Hostels wird geprüft.

Für Diana Henniges ein Horrorszenario: „Das ist ein Desaster“, sagt die Gründerin von „Moabit Hilft“ zur taz. Schon jetzt würden Geflüchtete teils unter „katastrophalen, menschenunwürdigen Bedingungen“ untergebracht. Die Ausrufung des Notfallplans ist für Henniges ein „Offenbarungseid“, der fatale Konsequenzen haben könnte: „Wir werden hier früher oder später Obdachlose haben.“ Berlin hätte auch in Zeiten sinkender Zugangszahlen Kapazitäten frei halten müssen, um vorbereitet zu sein, stattdessen seien sie heruntergefahren worden. Ein Fehler, wie sich nun herausstellt.

Auch der Berliner Flüchtlingsrat kritisiert das Vorgehen der Sozialsenatorin: „Dass dem Senat jetzt wieder nichts Besseres einfällt, als Menschen auf ehemaligen Flughäfen und in Zelten unterzubringen, ist mehr als enttäuschend“, so Sprecherin Almaz Haile. Stattdessen müssten Ferienwohnungen und Businessappartements angemietet und freie Wohnungen von städtischen Wohnungsgesellschaften an Geflüchtete vergeben werden.

Die Sozialsenatorin begründet ihr Vorgehen mit steigenden Flüchtlingszahlen. Laut dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) wurden in Berlin zuletzt rund 1.000 Schutzsuchende pro Monat registriert. In Gemeinschaftsunterkünften und Aufnahmeeinrichtungen gebe es derzeit aber nur noch 326 freie Plätze. Die Situation habe sich zugespitzt, weil die meisten Bundesländer aus dem Easy-Verteilsystem ausgestiegen seien.

Berlin selbst nicht Teil des Verteilsystems
Wiebke Judith, Pro Asyl

„Es braucht jetzt ein Umdenken in der Aufnahmepolitik“

Easy regelt die Verteilung von Geflüchteten nach dem „Königsteiner Schlüssel“ entsprechend der Bevölkerungszahl der Länder. Berlins Anteil liegt bei rund 5,2 Prozent. Da sich mittlerweile 12 von 16 Bundesländern für die Verteilung haben sperren lassen, müssen in Berlin mehr Schutzsuchende untergebracht werden. Für Juli rechnet Kipping mit 450 zusätzlichen Geflüchteten, Tendenz steigend. Die Senatorin appellierte an die Länder, in das Verteilsystem zurückzukehren.

Allerdings gehört Berlin selbst zu den Easy-Verweigerern und hat sich, wie die anderen Stadtstaaten auch, dauerhaft sperren lassen. Andere tun es ihm nun nach. Laut taz-Informationen nehmen zurzeit nur noch Hamburg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Baden-Württenberg an dem solidarischen Verteilsystem teil.

Ist Berlin also selbst unsolidarisch? Sozialsenatorin Kipping bezeichnet die Sperrung gegenüber der taz als „rein technische Angelegenheit“: „In Berlin kommen so viele Antragsstellende an, dass wir ständig über der Quote liegen.“ Das trifft allerdings auch auf Hamburg zu, das die Easy-Sperrung trotzdem aufgehoben hat. Mit der Aktivierung des Notfallplans will die Senatsverwaltung nun Zeit kaufen – um weitere Unterkünfte zu schaffen und „eine politische Lösung in anderen Bundesländern zu finden“.

Flüchtlinge dürfen sich nicht selbst Unterkunft suchen

Für die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl ist das Problem hausgemacht: „Asylsuchende können nicht frei entscheiden, wo sie unterkommen“, kritisiert die rechtspolitische Referentin Wiebke Judith gegenüber der taz. „Es braucht jetzt ein Umdenken in der Aufnahmepolitik und die rechtlichen Möglichkeiten, die das Aufheben der Wohnverpflichtung ermöglichen, müssen genutzt werden.“ Dürften sich Geflüchtete privat eine Unterkunft suchen, würde sich das Problem so nicht stellen, ist Judith überzeugt. „Auch wenn viele Geflüchtete selbst, wenn sie dürfen, keine Wohnung finden.“

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