Ulrich Schulte über das Ende des Unionsstreits
: Seehofer ist nur ein Symptom

Nichts ist gut in der Union. Die Asylrechtsverschärfung, auf die sich Kanzlerin Angela Merkel und ihr Widersacher Horst Seehofer am späten Montagabend geeinigt haben, ist nur eine Scheinlösung. Die Kluft zwischen CSU und CDU, die sich in den vergangenen Wochen aufgetan hat, ist damit nicht zuzuschütten. Denn die unglaubliche Eskalation zwischen Merkel und Seehofer steht für einen Grundkonflikt, der bleiben wird.

Zunächst zum Banalen: Das eh schon arg angeschlagene Verhältnis zwischen der Kanzlerin und ihrem Innenminister ist nun vollends zerrüttet. Seehofer hat Merkel mit vorgehaltener Waffe erpresst. Er hat sie gedemütigt, beleidigt und dabei eine Brutalität an den Tag gelegt, die ihresgleichen sucht. Merkel, der Stabilität über alles geht, hat dieser Erpressung nachgegeben, obwohl sie nicht hätte müssen. Sie nimmt eine schwere Beschädigung ihrer Autorität in Kauf, um Regierung und CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft zu retten.

Das kann man ehrenwert finden, aber in der Sache war Merkels Rückzug falsch, inhaltlich und taktisch. Transitzentren, das ist ein Euphemismus für eingezäunte Lager an der Grenze, aus denen Flüchtlinge im Schnellverfahren abgeschoben würden. Der Staat täte zynischerweise so, als hätten die Menschen deutschen Boden gar nicht betreten. Auch die Zurückweisungen an der Grenze, die Seehofers CSU so wichtig waren, finden sich in dem Kompromiss. Was die Union in einem brüchigen Burgfrieden eint, bedeutet also eine weitere Abschottung Deutschlands gegen Hilfesuchende.

Mit dem Souverän verwechselt

Klar ist schon jetzt: Eine gelungene Erpressung wird weitere Erpressungen nach sich ziehen. Das weiß jeder, der Kinder hat. Die CSU hat gelernt, dass infantiler Trotz – „Ich trete zurück, wenn du nicht …“ – Ergebnisse bringt. Sie wird bei nächster Gelegenheit erneut den Konflikt mit der geschwächten Kanzlerin suchen, deren Macht schmilzt wie ein Eiswürfel in der Julisonne.

Wie soll Merkel eigentlich weiter mit Seehofer zusammenarbeiten? Mit einem Mann, der ihr per Interview erklärte, sie sei nur seinetwegen Kanzlerin? Wie kann es sein, dass Seehofer, der das Verfassungsministerium leitet, sich selbst mit dem Souverän, den WählerInnen, verwechselt? Merkel regiert ab jetzt in der Gewissheit, jederzeit von einer frei drehenden CSU in Geiselhaftung genommen werden zu können.

Dahinter steht eine Entwicklung, die viel furchterregender ist als das Zerwürfnis zweier Machtpolitiker. Denn Seehofers Wüten ist nur ein Symptom. Der alt gewordene Innenminister war nicht mehr Herr des Verfahrens, hinter ihm ziehen CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Ministerpräsident Markus Söder die Strippen. Und die neuen starken Männer brechen mit europäischen Werten, die für einen Franz Josef Strauß noch selbstverständlich waren. Sie setzen auf Nationalismus und einen rechtspopulistischen Sound. Sie opfern die europäische Integration kurzfristigem, innenpolitischem Geländegewinn.

Attacke auf die Politik der Mitte

Die neue CSU schwafelt von „Asyltourismus“ und einer „Anti-Abschiebe-Industrie“, sie spricht also Flüchtlingen ihr legitimes Recht ab, um Schutz zu bitten. Sie hofiert den rechtsnationalen Ungarn Viktor Orbán, sie himmelt den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz an, der mit Rechtspopulisten koaliert. Sie malt das Ende des Multilateralismus in der EU an die Wand und setzt auf enge Zusammenarbeit mit Italiens Innenminister Matteo Salvini, einem fremdenfeindlichen Scharfmacher.

Dieser Kurs ist eine Attacke auf die liberale Gesellschaft und auf die Politik der Mitte, die die Union in den vergangenen Jahren machte. Er ist ein Angriff auf die moderate, auf Ausgleich bedachte Problembearbeitung, für die Merkel steht. Eine CSU, die sich von der Mitte abwendet, verschiebt die politischen Koordinaten der Republik. Warum sollte sie auf Dauer Koalitionen mit der AfD ausschließen? Schon jetzt sind inhaltliche und rhetorische Ähnlichkeiten unübersehbar, und der Prozess der Radikalisierung droht weiterzugehen. Echte Konservative wissen, wie wichtig eine stabile Brandmauer zur extremen Rechten ist. Dobrindt und Söder sehen das offenbar laxer, sie schlagen aus der Mauer Steine heraus.

Die Frage ist nun, wie die SPD mit alldem umgeht. Eigentlich gibt es nur eine Antwort: Die Sozialdemokraten müssen den Rücken gerade machen – und die Asylrechtsverschärfung ablehnen. Die neuen Pläne gehen weit über den Koalitionsvertrag hinaus, und die SPD hat erst Anfang der Woche beschlossen, dass mit ihr geschlossene Lager in der EU nicht zu machen sind. Nur weil Merkel den Erpressern aus Bayern nachgegeben hat, brauchen Scholz und Nahles es nicht auch zu tun.

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