Staatsbürgerliche Hackerin: Mit Innovationen gegen das System

Taiwans Digitalministerin Audrey Tang will bestehende Institutionen nicht stören, sondern überlegen, wie sie besser sein könnten.

Taiwans Digitalministerin Audrey Tang.

Taiwans Digitalministerin Audrey Tang bei einem Interview mit der taz im Jahr 2019 Foto: André Wunstorf

Von FELIX LEE

Audrey Tang hat viele Bezeichnungen. Offiziell ist sie seit 2016 Taiwans Digitalministerin. Im Rest der Welt ist sie vor allem bekannt als erste trans Ministerin. Sie selbst bezeichnet sich als „staatsbürgerliche Hackerin“.

Staatsbürgerlich meint sie im Sinne des Wohlergehens der Öffentlichkeit. Und Hackerin bedeutet für sie, „ein System zu verstehen und dann Innovationen zu entwickeln, um es zu verbessern“. „Ich will nicht bestehende Institutionen stören, sondern mir überlegen, wie sie besser sein könnten.“

Und auch als Anarchistin sieht die 39-Jährige sich, die 2005 offiziell ihre Geschlechtsbezeichnung und daraufhin sowohl ihren chinesischen als auch ihren gewählten englischen Namen änderte. Für sie heißt das, dass sie weder Befehle erteilt noch entgegennimmt, sondern Dinge auf daoistische Weise entwirft, also ohne zu versuchen, irgendetwas zu erzwingen.

„Ich will Mechanismen so ändern, dass Menschen trotz unterschiedlicher Positionen auf natürliche Weise zusammenkommen.“ Genau das ist als Politikerin ihr Programm. Sie betrachtet sich als eine „vermittelnde Ministerin“. Politisch eindeutig auf eine Position festlegen lässt Tang sich nicht. Vielmehr sieht sie ihre Aufgabe darin, mit allen Seiten zu sprechen, zuzuhören und dafür zu sorgen, dass die Menschen auch einander zuhören können.

Aus diesem Miteinander entwickelt sie dann Positionen, für die sie sich als Ministerin anschließend einsetzt. Wichtige Voraussetzung für ihr Vorgehen: absolute Transparenz. Das hält sie denn auch für das A und O einer funktionierenden Demokratie.

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Tang war schon früh politisch und technisch interessiert

Mit 14 Jahren verließ sie die Schule und bildete sich zur Softwareprogrammiererin aus. Mit 19 beriet sie Apple und die Wikimedia-Foundation im Silicon Valley. 2014 beteiligte sie sich an der Sonnenblumenbewegung, die aus Protest gegen ein Dienstleistungsabkommen mit China das Parlament in Taipeh besetzte. Die demokratische Inselrepublik, die von der autoritären Volksrepublik als abtrünnige Insel betrachtet wird und völkerrechtlich nicht anerkannt ist, kämpft für ihre Unabhängigkeit.

Zugleich ist Taiwan wirtschaftlich eng verbunden mit dem chinesischen Festland. Das sehen gerade viele junge Tai­wa­ne­r:in­nen als Gefahr. Das Abkommen wurde schließlich zurückgenommen. Mit dem Wahlsieg der progressiven Demokraten unter Präsidentin Tsai Ing-wen 2016 ließ Tang sich überreden, als Parteilose das Amt der Digitalministerin zu übernehmen.

Taiwan ist das Land mit einer der niedrigsten Corona-Infektions-Raten, ganz ohne Lockdowns – und das trotz der Nähe zur Volksrepublik, dem wahrscheinlichen Ursprungslands des gefährlichen Virus. Unter Tangs Leitung hat das Land schon früh auf digitale Nachverfolgung von Einreisenden gesetzt, die das Virus aus dem Ausland einschleppen könnten.

Wer einreist, muss für 14 Tage in Quarantäne. Überwacht wird per Funkzellenabfrage der SIM-Karte – ohne App. Nach überstandener Quarantäne wird die Überwachung sofort aufgehoben, alle Daten gelöscht. Der Preis: ein normales Leben und ein Dankeschön von umgerechnet rund 30 Euro pro Tag in Quarantäne.

Beim taz lab am 24. April 2021 wird Audrey Tang live aus Taiwan zugeschaltet.