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Provinz-Ressentiments Entensülze und Verbrenner

Ungewollt landet Ruth, wo sie niemals wieder landen wollte: in der Provinz. Und dann auch noch in der fränkischen. Schlimm! Schlimm?

Wer cool durch Deutschland cruisen will, muss Berlin auch mal verlassen Karolina El Lobo

Von RUTH FUENTES

taz FUTURZWEI, 13.04.2023 | Es ist dunkel und kalt und regnet. Deutschland im April. Und Arsen und ich auf unserem Motorrad. Ich muss schon ziemlich verliebt sein in diesen Typen, dass ich mir das antue, denke ich. Während er die nächste Kurve nimmt und ich mich von hinten an ihn klammere. Vorhin hatte es uns schon mit der Maschine aus der Kurve geworfen.

„Wir ziehen das jetzt durch“, hatte Arsen gesagt.

„Natürlich“, hatte ich ihm geantwortet. Aufstehen, nochmal anschieben, ein Kuss, weiterfahren.

Kolumne STIMME MEINER GENERATION

Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Fuentes, 28, ist Redakteurin des taz lab 2023

Sie wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Boks, 26, wird gefördert von der taz Panter Stiftung.

Er wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Gemeinsam auf dem Motorrad brettern wir seit Stunden über die Landstraßen der Republik. Frieren wir uns einen ab. Wärmen uns in irgendwelchen Raststätten wieder auf, fahren weiter. Möglichst schnell in Berlin sein, so das Ziel. Dahin zurück, wo wir hingehören. Doch so schnell kommt man nicht voran mit dieser Güllepumpe aus den Achtzigern. Bei der auch noch die Batterie am Arsch ist, und die wir jedes Mal anschieben müssen, um sie zu starten.

Einmal quer durch Deutschland. Ein Deutschland, das genauso ist, wie man es sich vorstellt: nass, kalt, dörflich. Mein Deutschland?

Gestrandet in Franken

Meine zwei Hosen, die ich übereinander angezogen habe, sind komplett durchnässt, und meine Hände spüre ich schon seit Stunden nicht mehr. Arsen und ich sitzen auf einer Eckbank in einem Gasthaus irgendwo in Franken. Die Küche hat längst geschlossen, aber die Wirtin – rot gefärbte Haare– hat Mitleid mit uns.

„Ich gug gleich amol, ob mei Mo a Brood für euch mach ko", hat sie gesagt. Und kommt nun mit einer Platte mit hauptsächlich Wurst und etwas Käse zurück, die vermutlich für eine ganze Fußballmannschaft reichen würde: selbstgemachte Leberwurst, Schinken, Scheiben von in Gelee eingelegtem Fleisch und Gemüse.

„Was ist denn das?“ frage ich mich gerade, als die Wirtin schon darauf deutet und von hausgemachter „Sülze“ spricht. Ich erinnere mich vage, das Wort schon irgendwo einmal aufgeschnappt zu haben und das, was es meint, als eklig befunden zu haben. Ich denke an meine vegetarischen und vegane Freunde in Berlin, dann an meinen knurrenden Magen und greife zu. Es schmeckt überraschend … gut.

„Schmeckt tatsächlich gut“, sage ich zu Arsen, meine Hände zittern nicht mehr. Ich schaue mich um.

Lohr am Main. Noch nie zuvor was von gehört. Hier sind wir gestrandet. Die Frau bei der Jet-Tanke in der Einfahrt zur Stadt – es ist tatsächlich eine Stadt, dieses Lohr am Main – hatte uns diesen Gasthof hier empfohlen. Und jetzt scheinen diese zwei unterkühlten Gestalten in der hölzernen Sitzecke das Gespräch des Abends in diesem Gasthof zu sein. Auf Fränkisch natürlich.

„Ihr seid ja badscherdnass! Wo wollder denn no? “

„Nach Berlin.“

„Oh, des is weid wech. Macht's guud, gell?“ bemerkt ein Gast und nimmt ein Schluck von seinem Bier. Marke: Keiler Bier.

Osterfeeling und Erinnerungen aus der Ferne

Ja, Berlin ist ganz, ganz weit weg von hier, denke ich. Erschreckend und beruhigend weit zugleich. Ich betrachte die Osterdeko: Häschen aus Plüsch, bunt bemalte Eier, Osterservietten, Krokusse. Bon Jovi singt im Radio für uns: „Whoa, we're half way there, whoa oh, livin' on a prayer ...“ und die Wirtin unterhält sich mit den Gästen darüber, was sie morgen am Palmsonntag vorhätten nach der Kirche und dass bei ihr volle Bude sein werde.

Ich kenne diese Gespräche, ich kenne diese Orte. Sie waren so lange Teil meiner Kindheit und Jugend. Ich bin in ähnlicher Umgebung aufgewachsen vor nicht allzu langer Zeit … Und doch kommt die Erinnerung aus weiter Ferne.

Ich habe mich nie zugehörig fühlen können, auch wenn ich es versucht habe. Und dachte lange, dadurch hätte ich sie einfach wegignorieren können; die Provinz. In meinem Berlin und mit arrogant-urbaner Haltung dieser Enge und Beständigkeit entfliehen.

Aber die Orte sind doch da.

Progessives Leben bleibt utopisch

Die letzten Gäste verabschieden sich und fahren normal besoffen mit ihren Autos nach Hause. Es ist 22 Uhr. Arsen und ich gehen raus eine rauchen.

„Ich glaube, das ist wirklich eine utopische Vorstellung mit dieser Klimawende“, sage ich so daher.

„Schon“, sagt Arsen, als sei das jetzt keine überraschende Neuigkeit. „Den Deutschen nimmst du so schnell nicht ihr Auto weg. Davor gibt’s safe einen Aufstand.“

Entensülze, Sonntagsmesse und Verbrenner. Und das mit einer Selbstverständlichkeit, dass ich einfach nur schweigend an meiner Kippe ziehe. Und fast vergesse, dass wir ja auch mit einem Verbrenner unterwegs sind und gerade echt viel Wurstbrot gegessen haben. Aber Kirche morgen? No way. Immerhin. Und außerdem sind wir als Beobachter unterwegs und niemals Teil des Ganzen.

Der Koch – also der Mann der Wirtin – kommt zu uns auf die Veranda.

„Hodd's gschmeckd? “

Wir nicken. Er wirkt müde. „Wochenend’ is imma anstrengngd“, sagt er. „Fuchza, sächza Stund am Dooch … Mei Kreuz is aa kombledd am Arsch.“

Er drückt seine Zigarette aus, seine Frau ruft ihn. Er muss weiterarbeiten. Er trottet ihr hinterher: „Naa, die Küchng machd sich ned von allaa, und heidzudoch findsd kan mehr, der Gastro mach will … “

Ein Deutschland aus Straßen und Teer

Von Berlin aus vergisst man das alles schnell, denke ich. Bad Kissingen, Lohr am Main, Coburg, Suhl, Köthen – das ist auch alles Deutschland. Man vergisst den Teer, die Brücken, die Tunnels, die das Land vernetzen. In den Tanken gibt es Bildzeitung, Tabak, Benzin, Zucker, Alkohol – alles Ungesunde in einem Raum. Und Wärme.

Für die LKW-Fahrer und die vielen, vielen Autofahrer, die jeden Tag die Straßen durch Mittelgebirge und Wälder befahren, von einem Dorf ins andere. Man vergisst, dass in der Dunkelheit Deutschland auf der Autobahn aussieht wie eine dystopische Zukunft. Rot blinken Windräder in der Ferne, aber sie reichen noch lange nicht aus. Und die Industrieanlagen leuchten hell am Straßenrand.

Ein kompliziertes, über lange Zeit ausgebautes System an fossiler Infrastruktur, kaum zu durchbrechen. Sicher nicht von den Menschen in der Provinz, denen wir das aus unserer städtischen Perspektive gerne vorwerfen.

Im Tageslicht: Dörfer und Kleinstädte, in denen ich nicht leben möchte, mit unglaublich hilfsbereiten Menschen. Sie sprechen in Dialekten zu mir, die ich zum Teil nur schwer verstehe. Sie leben eben ein Leben zwischen Familie und Arbeit.

Und am Palmsonntag gibt es Entensülze im Gasthaus. Radiomusik und Kirche. Eventuell kommt ein völlig durchgefrorenes Paar auf einem Motorrad vorbei und fährt dann weiter nach Berlin. Sie schütteln den Kopf, halten uns wahrscheinlich für verrückt und wünschen uns eine gute Fahrt.

Ich will sie nicht vergessen.

Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.