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Neues Editionsheft von LMd Liberté, Égalité, Fragilité?

Das neue Editionsheft „Frankreich“ von Le Monde diplomatique widmet sich den großen politischen und sozialen Fragen unseres Nachbarlandes.

Erfrischung in einem Brunnen am Place du Trocadero vor dem Eiffelturm in Paris dpa/XinHua

Von ANNA LERCH

Am 10. April steht in Frankreich der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl an. Obwohl Jean-Luc Mélenchon von La France insoumise in den Umfragen mittlerweile auf Platz drei vorgerückt ist, werden sich linke Wäh­le­r:in­nen im zweiten Wahlgang höchstwahrscheinlich mal wieder nur zwischen dem größeren und dem kleineren Übel entscheiden werden können.

Rechts von Emmanuel Macron machen sich gleich mehrere Kan­­di­da­t:in­nen warm, die sich in ihrer rassistischen Hetze und ihren chauvinistischen Reflexen gegenseitig übertreffen. Wer 2002 schweren Herzens Jacques Chirac wählte, um Jean-Marie Le Pen zu verhindern und 2017 Macron seine Stimme gab, um dessen Tochter Marine Le Pen nicht in den Élysée-Palast einziehen sehen zu müssen, muss sich dieses Mal auf ein ähnliches Szenario einstellen.

Auch in den meisten Medien haben sich die Debatten weit nach rechts verschoben. Auf dem Sender CNews durfte der rechtsextreme Éric Zemmour, der erstmals zur Wahl antritt, quasi täglich zur besten Sendezeit seine Tiraden ablassen; drei Mal haben ihn Gerichte bereits wegen Volksverhetzung verurteilt.

Landgrabbing nimmt zu

Seine mediale Dauerpräsenz verdankt er unter anderem Vincent Bolloré, einem der einflussreichsten Unternehmer des Landes, der in den letzten Jahren systematisch Medienhäuser aufgekauft hat. Eine gefährliche Tendenz: Neun Milliardäre kontrollieren mehr als 90 Prozent der privaten Medien.

Die zunehmende Konzentration von Reichtum und Produktionsmitteln kennzeichnet auch andere Bereiche der französischen Wirtschaft, etwa den Agrarsektor. Egal ob Getreideland in der Auvergne oder Reisfelder in der Camargue – immer größere Flächen fallen dem sogenannten Landgrabbing zum Opfer.

Was hier angebaut wird, wird in vielen Fällen industriell weiterverarbeitet, um dann im Kühlregal der grandes surfaces, den riesigen Supermärkten an den Stadträndern, zu landen. Frankreich ist die größte Agrarnation der EU, doch im Land des Guide Michelin und der Haute Cuisine isst nicht jeder wie „Gott in Frankreich“.

Im Gegenteil – laut dem Wohlfahrtsverband Secours Populaire ist je­de:r Fünfte sogar von Ernährungsunsicherheit betroffen; kann zum Beispiel das Schulessen der Kinder nicht bezahlen, muss regelmäßig auf frisches Obst und Gemüse oder sogar auf ganze Mahlzeiten verzichten.

Macron im Wahlkampf

Die Coronapandemie hat – wie überall auf der Welt – auch in Frankreich die soziale Ungleichheit verschärft. Im europäischen Vergleich waren die Lockdowns in Frankreich zudem besonders hart und wurden von den Behörden rigide kontrolliert. An Macrons Amtszeit gilt es viel zu kritisieren, doch seine Mittlerrolle im Ukrainekrieg verdrängt mitten im Wahlkampf die fatalen Folgen seiner Innen- und Sozialpolitik.

Heißt es nach fünf Jahren Macron, zwei Jahren Pandemie und der Allgegenwart rechter Dema­gogie also: Futur perdu? Das neue Editionsheft von Le Monde diplomatique widmet sich den großen politischen und sozialen Fragen, die auch nach der Wahl noch aktuell sein werden, und stellt neben allen düsteren Aussichten fest: Frankreich ist und bleibt das Land der Revolution, der Pariser Commune, des Mai 68, der Generalstreiks und der Gelbwesten-Bewegung. Egal wie die Wahl ausgeht, es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis die Französinnen und Franzosen wieder für ein besseres Leben auf die Straße gehen.

Anna Lerch ist Redakteurin bei Le Monde diplomatique.