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Liebe in Lützerath Utopie abgebaggert?

Autor Aron beteiligte sich an der Besetzung von Lützerath. Dann wurde das Dorf geräumt und zerstört. Wie geht es nun weiter?

Aron wird von der Polizei geräumt. Das Bild sah er selbst erst später in den dänischen Nachrichten. Wolfgang Rattay/Reuters/Ritzau Scanpix

Von ARON BOKS

taz FUTURZWEI, 26.01.2023 | Es ist Mitte Januar und bis eben wohnte ich in einem besetzen Haus: Fünfzehn Tage lang habe ich im von Klimaaktivist:innen besetzten Dorf Lützerath gelebt, das von RWE wegen der darunterliegenden Braunkohle abgebaggert werden sollte. Zwar nur mit Solarstrom und Kaltwasser, dafür an einem Ort, an dem zumindest versucht wurde, die Geschlechter und Hierarchien sowie Leistungsoptimierung einfach mal egal sein zu lassen. Und wie geil wäre es denn, hatte ich irgendwann gedacht, wenn ich später mit Freunden oder sogar Kindern in friedlichen Zeiten so ein Dorf besuchen würde – also ohne Hundertschaften von Polizist:innen als Belagerer. Tagsüber würden wir schauen, wonach wir uns gerade fühlen und vielleicht ein Haus reparieren, Abends in der „KüfA“ (Küche für Alle) Gemüse schneiden und vielleicht generell noch die Hoffnung aufrecht erhalten, dass die Welt noch ein wenig vor dem Untergang bewahrt werden kann. Klar, das war das Hauptanliegen der Aktivist:innen, genauer gesagt der Protest gegen den Energiekonzern RWE und die Klimapolitik der Bundesregierung. Aber ich kannte weder solchen Aktivismus noch dieses alternative Leben aus nächster Nähe und wollte, dass der Ort aus all diesen Gründen bleibt.

STIMME MEINER GENERATION​

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 26, wird gefördert von der taz Panter Stiftung.

Er wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 28, ist taz Panter-Volontärin in der taz-Redaktion.

Sie wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und ist seit Oktober 2021 taz Panter Volontärin.

Jedenfalls kam eins zum anderen und ich habe mich entschlossen, mich allein dafür dem Widerstand anzuschließen – und das alles mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen. Da das eine singende Sitzblockade bedeutete, wurde ich nach fünf Stunden und einem Schmerzgriff von zwei Polizisten aus dem Dorf geschmissen.

Meine Sachen sind noch immer im besetzten Haus. Jetzt, nur wenige Stunden später, werde ich von meinen Eltern am Bahnhof ihrer Heimatstadt Wernigerode im Harz abgeholt.

Die ganze Zugfahrt habe ich fast ausschließlich daran gedacht, nach Tagen endlich wieder zu duschen, eine Heizung zu spüren. Und jetzt sitze ich hier geduscht im warmen Badezimmer meiner Eltern, während die Aktivist:innen noch das Dorf verteidigen.

Ich denke an Isabel, eine Aktivistin, die ich da kennen gelernt hatte. An einem Abend haben wir zusammen in einer Scheune gesessen, während neben uns Panzersperren für die Verteidigung der anstehenden Räumung gebaut und das Geschirr des Abendessens gespült wurde.

Glaube an die Anarchie

„Ich könnte nie mit jemandem zusammen sein, der so gar nicht an die Anarchie glaubt“, hatte sie unvermittelt gesagt. „Wie ist das eigentlich bei dir?”

„Ich denke, ich schon.“

„Woran glaubst du denn?”

Ich wusste nicht so richtig, was ich sagen sollte und in dem Moment mit Gott anzufangen, fand ich irgendwie unromantisch. Also sagte ich: „An eine Utopie, vielleicht“.

Ich zählte gerade diverse Ungerechtigkeiten auf, da begann die Polizei auch schon mit der Räumung, knüppelte, fuhr mit Panzern vor, völlig sinnlos flogen Steine dagegen, die tausend friedlichen Protestler:innen galten einmal mehr als Ökoterroristen. Und jetzt sitzt Isabel in dem Zelt, in dem sie mich beherbergt hatte, in diesem völlig verregneten Ausweichcamp nahe des besetzten Dorfes, wo so viele nach der Räumung auf die baldige Demonstration gegen die Klimapolitik der Regierung warteten. Und ich hatte mich nicht einmal verabschiedet.

Hastig texte ich ihr zwei Sätze: „Entschuldige, dass ich so früh gefahren bin. Und falls das mit meinem Gerede von der Utopie jetzt unglaubwürdig kam.“ Mein Vater ruft zum Essen.

Papa und die Punks

Entgegen meiner Erwartungen sind meine Eltern begeistert von all dem, was ich dort erlebt habe. Vor allem mein Vater. Mutig wäre ich gewesen.

Ich schaue kurz auf mein Handy. Keine Antwort von Isabel. Dann esse ich langsam das Abendessen, während mein Vater so aufgeregt von dieser Räumung redet, als wäre er selbst dabei gewesen.

„Was ist eigentlich mit Papa los?“, frage ich meine Mutter, nachdem er seinen aufgeregten Redefluss unterbrechen musste um draußen zu rauchen.

Sie sieht kurz zum Fenster, wo mein Vater so schnell an seiner Zigarette zieht, als würde er in einer offenen ICE-Tür bei einem Zwei-Minuten-Halt stehen.

„In den letzten Tagen erinnert er sich sehr an seine autonome Phase“, sagte sie. Die Tür schnellt auf.

„Wo waren wir stehen geblieben?“, fragt er. Vor kurzem habe ich mit meinem Vater sehr viel und ausgiebig über ein besetztes Haus in unserer Heimatstadt Wernigerode gesprochen. Ich habe über die 90er Jahre im Osten recherchiert und über die Punks, die er oft getroffen hatte. „Nur zum Feiern!“, hatte er bekräftigt, dabei hätte ich auch nie etwas anderes vermutet. Andererseits stehen in seinem Bücherregal auch Rudi Dutschkes „Mein langer Marsch“ und „Über die Revolte“ – aber auch ein Poster seines größten politischen Idols, Helmut Schmidt, mit dessen berüchtigtem Zitat: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“. Zugegeben, das hatte ich ihm zum 50. Geburtstag geschenkt, weil andauernd Helmut Schmidt zitiert und ich das irgendwie lustig fand – und ich ihn vielleicht nicht als derartigen Pessimisten, aber auch nicht als Revolutionär kennen gelernt hatte.

Später erzählt er mir vom Magdeburg der 90er Jahre, dass er Gewalt immer abgelehnt – ihn aber auch eine andere Form des Lebens gereizt hätte. Aber irgendwie hätten sich die Versprechungen der Szene damals als unwahr dargestellt, waren nicht zu Ende gedacht, er hatte sich distanziert. „Aber auch ich habe das damals nicht zu Ende gedacht, fürchte ich“, sagt er fast monoton. „Deswegen holt mich das bei solchen Ereignissen wie bei dir immer ein.“

Die Utopie stirbt nicht

Am Abend sitze ich auf dem Gästebett im gemeinsamen Arbeitszimmer meiner Eltern. Direkt neben dem Helmut Schmidt-Plakat. Isabel schreibt mir.

„Ich war nicht sauer, weil du abgehauen bist, sondern weil du mein Zelt offengelassen hast und es komplett nass war, als ich dort schlafen wollte.“

Verdammt, ich wollte wohl wirklich schnell von dort weg, denke ich.

„Ich glaube auch nicht, dass du jetzt eine Utopie erlebt hast, nur weil du einmal in einer Besetzung warst. Zumal die an vielen Stellen auch nicht funktioniert hat. Aber, ich glaube auch nicht, dass dein Gedanke an eine Utopie jetzt unbedingt unglaubwürdig ist, weil es das Dorf nicht mehr gibt. Weil, was machen wir dann, wenn man nicht gleich einen vergleichbaren Ort findet? Und das wird vermutlich in nächster Zeit passieren. Stirbt dann die Utopie mit?“

„Nein, die Utopie stirbt auf keinen Fall“, schreibe ich. Scheiß auf den Helmut Schmidt-Spruch. Es wäre doch viel zu einfach und irgendwie traurig jeden Versuch einer Weltverbesserung als unrealistisch oder, durch ein paar Ausschreiter, als durchgehend gewalttätig oder demokratiefeindlich abzustempeln. Mein Vater will die Sozialdemokratie, Isabel die Anarchie. Und vielleicht ist es besonders falsch auf die große andere Welt zu warten, nur um den neoliberalen Festhaltern ans Bein zu pinkeln zu wollen, aber eigentlich gar nichts zu verändern. Das habe ich mir zugegebenermaßen angelesen, um Isabel ein bisschen zu beeindrucken. Keine Ahnung, ob ich sie oder die Anarchie toll finde. Oder wie eine Utopie jetzt aussieht. Vielleicht ja so wie Isabel.

Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.