Verfahren gegen Seenotrettung: Staatsanwalt will Freispruch

Vor sieben Jahren begann das Verfahren gegen die See­not­ret­te­r der Iuventa. Nun scheint die Staatsanwaltschaft ihre Meinung geändert zu haben.

Angeklagte vor dem Gericht

Die Angeklagten Katrin Schmidt (M.) und Sascha Gierke (re.) mit Ver­tei­di­ge­r:in­nen vor dem Gericht in Trapani Foto: Iuventa Crew

Das Urteil der italienischen Presse steht schon fest: „Flop-Prozess“ war am Mittwoch über das Vorverfahren gegen die See­not­ret­te­r:in­nen des deutschen Rettungsschiffes Iuventa im sizilianischen Trapani zu lesen. Sieben Jahre nach Beginn des Prozesses beantragte die Staatsanwaltschaft eine Einstellung des Verfahrens. Der Sachverhalt stelle „kein Verbrechen dar“, die Haupt-Belastungszeugen seien „unglaubwürdig“. Das 2017 beschlagnahmte Schiff sei wieder freizugeben. Eine Entscheidung soll am Samstag verkündet werden. Ein Vertreter des italienischen Innenministeriums, das im Verfahren als Nebenkläger auftritt, erklärte, die Entscheidung sei dem Gericht überlassen.

Das Verfahren dreht sich um zwei Rettungseinsätze: im September 2016 in libyschen Hoheitsgewässern und im Juni 2017 in internationalen Gewässern. Dabei wurden insgesamt 404 Schiffbrüchige zunächst an Bord der Iuventa der deutschen NGO Jugend Rettet genommen. Später wurden sie mit zwei Schiffen der NGOs Ärzte ohne Grenzen und Save The Children nach Italien gebracht.

Die Staatsanwaltschaft hat dies als Schlepperei ausgelegt. Sie wirft den Beschuldigten vor, „in krimineller Absicht (…) Ausländer zum Zweck der illegalen Einreise transportiert zu haben“. Neben den Haftstrafen drohen den Angeklagten bis zu 15.000 Euro Geldbuße pro nach Italien gebrachter Person.

Insgesamt haben die Ak­ti­vis­t:in­nen auf der „Iuventa“ 2016 und 2017 etwas mehr als 14.000 Menschen aus dem Wasser geholt. Sechzehnmal ist das Schiff dafür ausgelaufen. Bei rund der Hälfte dieser Missionen waren die jetzt Angeklagten beteiligt.

Beschlagnahme 2017

Im August 2017 hatte die Staatsanwaltschaft Trapani die Iuventa beschlagnahmt. Sie behauptete, dass in drei Fällen Mitglieder der Schiffsbesatzung Kontakte zu libyschen Schleusern hatten. „Es gibt ernsthafte Anzeichen für eine Schuld“, sagte der damalige Staatsanwalt Ambrogio Cartosio.

In dem seit Mai 2022 laufenden Verfahren waren insgesamt 22 Personen angeklagt. Das Gericht sollte feststellen, ob es die Anklage für eine Hauptverhandlung zulässt. Seit Mittwoch hielten die Prozessparteien ihre Schlussplädoyers.

„Wir sind erfreut über den Sinneswandel der Staatsanwaltschaft nach sieben Jahren. Aber so funktioniert ein Rechtsstaat nicht“, sagte die Verteidigerin Francesca Cancellaro. „Ein Verfahren ohne angemessene Vorarbeit zu beginnen, ist nicht rechtens und belastet die Angeklagten unangemessen.“ Die Verteidigung hatte schon 2019 beantragt, das Verfahren einzustellen.

„Es ist erleichternd und traurig zugleich. Hätte die Staatsanwaltschaft von Anfang an auf die Beweise geachtet, hätten sie die Iuventa nie beschlagnahmen dürfen und uns wären sieben Jahre Stress erspart geblieben“, sagt das damalige Iuventa Crew-Mitglied, Dariush Beigui. Der Angeklagte Sascha Girke sagte, das Gericht habe nun „die Chance, die tödlichen Auswirkungen dieser Kriminalisierung von Solidarität zu stoppen – eine Situation, die niemals hätte entstehen dürfen. Wir rufen das Gericht auf, dies zu tun.“

UN kritisieren das Verfahren

Zuvor hatte Mary Lawlor, die UN-Sonderberichterstatterin zur Lage von Men­schen­rechts­ver­tei­di­ge­r*in­nen, den Prozess kritisiert: „Die Einschränkung des Spielraums für Solidarität mit Migrierenden ist zu einer Politik aufeinander folgender italienischer Regierungen geworden“, so Lawlor. „Sie hat dazu beigetragen, dass das zentrale Mittelmeer zur tödlichsten Migrationsroute der Welt geworden ist. Das Verfahren gegen die Iuventa-Crew ist ein Schandfleck für Italien und für die Menschenrechte in der EU. Das Verfahren sollte eingestellt werden.“

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