Unübersichtliche Mediatheken: Gute Inhalte, gut versteckt

Beim Streamen von „Holocaust“ zeigt sich ein Dilemma des öffentlich-rechtlichen Online-Angebots: Es ignoriert moderne Sehgewohnheiten.

Deportationsszene aus der Serie Holocaust

Die Mediathek des Ersten: schematische Ordnung und hölzernen Rubriken Foto: imago/Rüdiger Wölk

Einige der Dritten Programme strahlen gegenwärtig wieder die US-amerikanische Fernsehserie „Holocaust“ aus, die bei ihrer Erstsendung 1979 in Deutschland sehr erfolgreich war und die Verbrechen der Nationalsozialisten einer breiten Bevölkerungsschicht nahebrachte. Die Erstausstrahlung von „Holocaust“ an fünf aufeinander folgenden Tagen erreichte damals Einschaltquoten von bis zu 39 Prozent und gilt als Meilenstein sowohl der deutschen Fernsehgeschichte als auch der Aufarbeitung der Ereignisse im Nationalsozialismus.

Wegen der bleibenden Aktualität des Themas ist es gut, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten die Sendung, die zuletzt vor vierzehn Jahren gezeigt wurde, wieder ins Programm genommen haben. Wer jedoch in der Mediathek des Ersten Programms nach der Sendung sucht, wird nicht fündig. Denn die Sendung wird nur über die Website des WDR gestreamt, auf dessen Initiative hin die Serie abermals gezeigt wird.

In der Mediathek von SWR und NDR – die beiden anderen Sender, die die Sendung wiederholen – sind die vier Folgen nicht zu finden. Beim WDR gab es zunächst nur die beiden ersten Folgen, die in der letzten Woche ausgestrahlt wurden; auch die Dokumentation „Wie der Holocaust ins Fernsehen kam“ war dort zunächst nicht zu sehen.

Inzwischen ist die Serie samt Dokumentarfilm zwar vollständig in der WDR-Mediathek zu finden und bleibt dort bis Ende Januar. Aber die Veröffentlichung auf Raten zeigt ein Dilemma der öffentlich-rechtlichen Mediatheken. Einer Generation, die mit Streamingdiensten wie Netflix, Amazon Prime und Co ihre Medien­sozialisation erhalten hat, ist nicht nur nicht mehr zu vermitteln, dass man sich zu einer bestimmten Sendezeit vor den Fernseher setzen muss, um ein bestimmtes Programm zu sehen.

Binge Watching trainiert

Im Zeitalter des Binge Watchings ist es zunehmend ungewöhnlich, dass eine Serie nicht gleich komplett im Netz erscheint. Auch dass sie nach einigen Wochen wieder verschwindet, entspricht nicht dem durch die Streamingdienste antrainierten Rezeptionsverhalten.

Für viel Verwirrung sorgte zum Beispiel die Veröffentlichungsstrategie bei der ARD-Prestigeserie „Babylon Berlin“: Zunächst war sie nur beim Minderheitsfinanzier Sky zu sehen. Als sie endlich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen lief, waren die ersten Folgen nach zehn Tagen schon wieder aus der Mediathek verschwunden, als die letzten gerade eingestellt wurden.

Die Generation Netflix setzt sich nicht zu einer bestimmten Zeit vor den Fernseher

Heute werden bei den Streamingdiensten nur Shows, die wie „Better call Saul“ oder „Riverdale“ wöchentlich im US-amerikanischen TV laufen, nicht auf einen Schlag herausgebracht. Seit Netflix 2007 Video on Demand anbietet, beobachtete man bei dem Unternehmen den Trend, dass viele Nutzer Serien in stundenlangen Sessions am Stück guckten. Im Februar 2013 „droppte“ Netflix daher eine seiner ersten Eigenproduktionen „House of Cards“ mit dreizehn Folgen komplett an einem Tag – das Zeitalter des Binge Watching hatte offiziell begonnen (der Begriff leitet sich vom „Binge Drinking“ ab, also vom Komasaufen). Durch automatische Weiterschaltung von Episodenende zum Beginn der nächsten Folge und die Möglichkeit, den Vorspann zu überspringen, begünstigen Netflix und Amazon auch technisch diese Rezeptionsweise.

Ebenso ist das Angebot von Netflix auf maximale Nutzerfreundlichkeit hin optimiert. Wer die Website oder die App öffnet, wird sofort mit einer Auswahl von Film- und Serien­empfehlungen empfangen. Weil Netflix verfolgt, was seine Kunden bereits gesehen haben, sind diese Empfehlungen auf das Nutzerinteresse zugeschnitten; und wer etwas anderes haben will, wird mit der Suchfunktion schnell fündig.

Millenials vermerken sich keine Sendedaten

Ganz anders dagegen die Mediathek des Ersten: Hier wird man von einer schematischen Ordnung und hölzernen Rubriken empfangen, durch die man sich selbst hindurch navigieren muss: Serien, Comedy, Dokumentarfilme, „Tagesschau“. Wer eine bestimmte Sendung sucht, weiß besser Bescheid über die Struktur der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Das Angebot des öffentlich-rechtlichen Jugendsenders Funk und von Kika wird weder bei ARD noch ZDF angezeigt; auch Sender wie Arte oder Phoenix tragen durch eigene Mediathek nicht gerade zur Übersichtlichkeit des Angebots bei. Hat man eine Serie gefunden, wird man dann mit einer unsortierten Liste von Einzelfolgen konfrontiert, während man bei Netflix sofort an der Stelle der Episode ist, bis zu der man beim letzten Mal geguckt hat.

Auch dass „Holocaust“ am 24. Januar wieder aus der Mediathek verschwindet, entspricht den Sehgewohnheiten von Millenials nicht. Denn die vermerken sich keine Sendedaten mehr im Kalender. Sie sind es gewohnt, dass ein Medien­angebot einfach immer zur Verfügung steht. Und gerade „Holocaust“ wäre für die Generation Streaming sehenswert.

Dabei können die Öffentlich-Rechtlichen ihre Sendungen inzwischen länger als die früher üblichen sieben Tage online anbieten. Der neue Telemedien-Staatsvertrag, der im Sommer 2018 nach jahrelangem Hickhack fertig geworden ist, sieht vor, dass Programme von ARD und ZDF nicht nach einer Woche „depubliziert“ werden müssen.

Das hat das Angebot aber auch unübersichtlich gemacht: Viele Eigenproduktionen sind nun ein halbes Jahr oder länger online verfügbar, andere verschwinden aber immer noch nach einer Woche aus dem Programm. Im Fall von „Holocaust“ waren es die hohen Lizenzgebühren, derentwegen die Serie nur drei Wochen online ­bleiben kann. (Bei kommerziellen ­Strea­ming­anbietern ist die Serie nicht zu finden; allerdings liegt sie auf DVD und Blu-ray vor.)

Damit soll nicht gesagt sein, dass die öffentlich-rechtlichen Mediatheken in jeder Hinsicht Netflix und Co nacheifern sollten. Besonders die überbordende Datensammelei der Unternehmen ist kritisch zu sehen. Auch dass der Zuschauer ununterbrochen gedrängt wird, immer weiterzugucken, ist nichts, was die Öffentlich-Rechtlichen unbedingt übernehmen müssen. Aber die amerikanischen Streaminganbieter haben im Bereich Video on Demand Standards gesetzt, an denen sich auch die gebührenfinanzierten Sender orientieren müssen, ob ihnen das gefällt oder nicht.

Je mehr sich Streaming durchsetzt, umso wichtiger ist es, dass ARD und ZDF ein überzeugendes Online-Angebot haben. Anfangen könnte man mit einer Mediathek, in der alles gesammelt ist, was mit Rundfunkmitteln finanziert ist und im Internet gezeigt werden kann. Wenn das unter einer einzigen Adresse zu finden ist, erhalten die Beitragszahler einen Überblick darüber, wofür ihre Gebühren eigentlich ausgegeben werden – was möglicherweise auch die Akzeptanz des Rundfunkbeitrags wieder erhöht.

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