Ultraschall-Festival für Neue Musik: Zerrissenes Stückwerk

Zeitgenössische Musik sollte sich auch der Zeitgeschichte stellen. Beim Berliner Ultraschall-Festival für Neue Musik ist davon einiges zu hören.

Der Dirigent inmitten der Streicher

Vladimir Jurowski dirigiert das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin Foto: rbb/Thomas Ernst

Mariupol zum Beispiel. Einen Namen, den man doch fast täglich in den Nachrichten gehört hat während der monatelangen schweren Kämpfe um die Stadt. Dann wurde sie von den russischen Truppen eingenommen. Vor dem Krieg war Mariupol eines der wichtigsten Wirtschaftszentren der Ukraine. Jetzt sind weite Teile der Hafenstadt am Asowschen Meer zerstört.

„Am Meer“ ist der Titel der Komposition von Olga Rayeva, am Donnerstagabend war sie im Großen Sendesaal des RBB im Rahmen des Ultraschall-Festivals zu hören. Eine Uraufführung, gespielt vom Rundfunk-Sinfonieorchster Berlin.

Wenn man wollte, konnte man in der Musik auch einen Wellengang hören und im Quietschen der Geigen das Schreien von Möwen. Fetzen von Wehmut jedenfalls sammelten sich in dem Stück, das – stets stockend im Fluss – den großen orchestralen Apparat gar nicht wirklich nutzen wollte. Immer wieder splitterte die Musik auf in Einzelstimmen, man hörte traurige Bläsersignale und Glockenschläge. Vorbeihuschende Motive, zerrissenes Stückwerk.

Wie aus der Ferne schien einen diese Musik anzuwehen. Wegsterbende Töne. Vielleicht Tod

Wie aus der Ferne schien einen diese Musik anzuwehen. Wegsterbende Töne. Vielleicht Tod.

In Mariupol, schreibt Olga Rayeva, sei sie in ihrer Kindheit immer glücklich gewesen. Die Eltern ihrer Mutter lebten dort. Und nun gibt es diese Stadt so gar nicht mehr.

Keine politische Kampagne

Ultraschall, das von RBB Kultur und Deutschlandfunk Kultur gemeinsam veranstaltete Festival, ist der Neuen, zeitgenössischen, Musik gewidmet. Bis Sonntag dauert das auch im Radio zu hörende Festival noch.

Ultraschall Berlin, das Festival für neue Musik, findet vom 17. bis 21. Januar mit Konzerten an verschiedenen Orten statt. Auf ultraschallberlin.de finden sich die Konzerte auch zum Nachhören.

Dass das an dem Abend zwar „keine politische Kampagne“ sei, meinte Rainer Pöllmann, mit Andeas Göbel Festivalleiter. „Aber doch ein Konzert, in dem die Zeitumstände ihre Spuren hinterlassen haben.“

Wobei, so Pöllmann, gerade zeitgenössische Musik sowieso „auch einen gesellschaftlichen Kontext hat“. Sogar dann, wenn sie ihn negiert.

Weil man halt selbst beim Komponieren gar nicht ganz raus kann aus seiner Zeit mit ihren Verwerfungen, den Krisen, den Hoffnungen, Utopien. Dazwischen immer der knirschende Alltag.

In dem Stück „C-Dur“ von Alexey Retinsky, zum Auftakt des Abends wurde es gespielt, oszillierte der Klang von Streicherflächen zwischen ruhig schnaufend und schnappatmend. Gleichzeitig friedlich wiegend und doch auch bedrohlich, ein musikalisches Pathos wie bei einem Soundtrack zu einem Technicolor-Melodram blitzte auf. Und verröchelte wieder, ohne dass man das gleich als ironische Brechung hören wollte. Gefühlig und doch wieder nicht in den Stimmungen. Bestens unentschieden.

Verpönte Gefälligkeit

Wobei ja schon der Titel des Stücks eine kleine Provokation ist, ist C-Dur als Metapher der Gefälligkeit doch eigentlich verpönt in der Neuen Musik, die es sich ja eben nicht bequem machen will.

Und der Hörer doch eigentlich auch nicht. Der kann ja genauso wenig aus seiner Zeit. In einem Selbstversuch mag man gern einmal probieren als rechtschaffen zerrissener Gegenwartsmensch, wie viel Barockmusik zum Beispiel man überhaupt aushält, ohne dass sie einen nervt in ihrem stets sich rundenden Glück.

Wobei gar nicht gesagt sein soll, dass der Barockmensch nicht auch so seine Dissonanzen hatte in seinem Leben.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Eine Musik des langen Atems

Dass ein Kunstwerk eine Reflexion darüber ist, was man erlebt, sagte die in Teheran geborene Komponistin ­Farzia Fallah, deren Komposition „Traces of a Burning Mass“ zum Schluss des Konzerts zu hören war. Entstanden ist sie in der Zeit der Proteste im Iran gegen den gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022. Eine fauchende Musik, lauernd, immer auf dem Sprung, mit schrillen Lichtblitzen im Dunkeln. Sich durchaus kleine Triumphgesten gönnend, ohne dabei je stehen bleiben zu wollen.

Und auch eine Musik des langen Atems. Des Ungewissen. Diese „Traces of a Burning Mass“ hatten gar kein wirkliches, irgendwie sonderlich ausgearbeitetes Finale.

Die Musik, sie hörte einfach nur auf.

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