UN-Studie zur Onlinekriminalität: Cyberbetrüger wider Willen

Laut UN-Menschenrechtshochkommissariat zwingen in Südostasien kriminelle Banden angelockte Migranten mit Gewalt zum globalen Onlinebetrug.

Eine Person mit einem schweren Rucksack geht in einen Raum, mit Computerarbeitsplätzen, auf dem Boden sitzen junge Männer, an der Seite stehen große, blaue Wasserbehälter

Polizei betritt auf den Philippinen, ein Büro, wo Menschen zur Cyberkriminalität gezwungen wurden Foto: Philippine National Police/ap

BERLIN taz | Hunderttausende Menschen werden in Südostasien zu Cyberkriminalität gezwungen. Sie machen Menschen zu Betrugsopfern – sind aber auch selbst Opfer von Verschleppung, Menschenhandel, Zwangsarbeit, physischer Gewalt und Schuldknechtschaft.

Zu diesem Ergebnis kommt eine am Dienstag in Genf vom Büro des Hochkommissars für Menschenrechte vorgelegte Studie. „Sie sind Opfer. Sie sind keine Kriminellen“, sagte der UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk bei der Vorstellung der Studie über das milliardenschwere Betrugsgeschäaft. „Wir dürfen nicht vergessen, dass es bei diesem komplexen Phänomen [der Cyberkriminalität] zwei Sorten Opfer gibt.“

Die späteren Cyberbetrüger würden meist auf der Basis vermeintlich attraktiver Jobangebote in Trollfabriken gelockt und dort unter sklavenähnlichen Bedingungen eingesperrt. Mit Gewaltandrohung würden sie dann zu grenzüberschreitendem digitalem Betrug gezwungen. Trollfabriken arbeiteten oft von Casinostandorten aus, aber auch aus grenznahen Sonderwirtschaftszonen, stellt die Studie fest.

Sie nennt keine Gesamtzahl zwangskrimineller Opfer, hält aber Schätzungen von 120.000 Personen in Myanmar und 100.000 in Kambodscha für realistisch. Die südostasiatischen Länder Myanmar, Thailand, Laos und die Philippinen sind demnach das Zentrum des globalen Cyberbetrugs.

Kontakte zu Betrugsopfern über soziale Netzwerke

Die dazu gezwungenen Personen kämen aber nicht nur aus diesen Ländern, sondern würden auch aus Brasilien, Ägypten, der Türkei, Ostafrika, Südasien, Vietnam, Indonesien und China dorthin gelockt.

Die Betrugsmasche funktioniere in der Regel so, dass die Cybersklaven über soziale Netzwerke und Datingplattformen ihre Opfer kontaktieren und sie, etwa durch vermeintliche Online-Flirts, zu Investitionen in betrügerische Onlinebörsen und manipulierte Kryptowährungsgeschäfte überreden. Die so Betrogenen verlieren meist sämtliche Ersparnisse, verschulden sich oft noch und verlieren Ansehen und Selbstachtung.

Die Studie konzentriert sich auf die zwangskriminellen Opfer und stellt mehrere Trends fest: Seien die Hauptländer, von denen der von Banden organisatierte systematische Cyberbetrug ausgeht, früher selbst nur Herkunftsländer von Migranten gewesen, seien sie jetzt Zielländer des kriminellen Menschenhandels.

Die angelockten Migranten neue Typs seien keine verarmte Landbevölkerung, sondern überwiegend höher gebildete Männer mit Fremdsprachen- und Digitalkenntnissen. Treibende Faktoren der Cyberkriminalität sind die Verbreitung des grenzüberschreitenden Online-Glücksspiels, die Digitalisierung und die Verwerfungen durch die Coronapandemie.

Die Coronapandemie förderte die Onlinekriminalität

Die Lockdowns hätten die Casino-Industrie schwer getroffen, sodass deren kriminelle Elemente ihre Cyberaktivitäten in kaum regulierte Gebiete verlagert hätten. Auch seien viele Migranten arbeitslos in fremden Ländern gestrandet und dann für dubiosere Jobangebote empfänglich geworden. Und zugleich hätten viele Menschen wegen der Lockdowns deutlich mehr Zeit online verbracht und seien so anfälliger für Cyberbetrug gewesen.

Weitere Gründe seien grassierende Korruption, schwache Regulierungen, erodierende Staatlichkeit, Straflosigkeit und auch Beschränkungen der Pressefreiheit. So hätte die Cyberkriminalität in Myanmar nach dem Putsch 2021 stark zugenommen. Zum einen kontrolliere die dortige Militärjunta viele Gebiete nicht effektiv, zum anderen würden bewaffnete Gruppen wie auch das Putschmilitär selbst versuchen, von Cyberbetrügereien zu profitieren.

Die Studie betont, dass es zuerst darum gehen müsse, die Menschenrechte der zwangskriminellen Opfer zu schützen. So müssten etwa Grenzbeamte und Polizisten lernen, Opfer von Menschenhandel und Verschleppung zu erkennen und zu schützen, statt sie zu bestrafen.

„Nur ein ganzheitlicher Ansatz kann den Kreislauf der Straflosigkeit brechen und Schutz und Gerechtigkeit für diejenigen sichern, die so schrecklich missbraucht wurden“, sagte Türk.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.