Streit um die Berlinale: Detonation in Zeitlupe

Die 74. Berlinale endete mit einem Eklat. Nicht als Knall, sondern täglich eskalierend. Wer äußerte sich wie zur politischen Schlagseite der Gala?

Der Filme­macher Yuval Abraham (re.) mit seinem Kollegen Abbas Fahdel auf der Preisver­leihung der 74. Berlinale, in der Mitte eine Jurorin mit "Cease Fire Now"-Tuch.

Erhielt Morddrohungen von Rechten: der Filme­macher Yuval Abraham (re.) auf der Preisver­leihung der 74. Berlinale Foto: Markus Schreiber/ap/picture alliance

Es scheint kein Ende zu nehmen. Um den Abschluss der 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin gab es nicht allein eine heftige Auseinandersetzung, inzwischen erhielt einer der geehrten Regisseure sogar Morddrohungen. Der israelische Filmemacher Yuval Abraham, der auf der Berlinale zusammen mit seinem palästinensischen Kollegen Basel Adra für „No Other Land“ die Auszeichnung für den besten Dokumentarfilm entgegennahm, hatte in seiner Dankesrede gesagt, die „Apartheid“ im Westjordanland müsse aufhören.

Danach habe er Morddrohungen erhalten und ein „rechter Mob“ habe seine Familie in ihrem Haus bedroht, schrieb er am Mittwoch auf X. Abraham warf deutschen Medien und Politikern vor, für diese Entwicklung verantwortlich zu sein, da sie seine Rede als „antisemitisch“ bezeichnet hätten.

Dabei schien am vergangenen Sonnabend zu Beginn der Berlinale-Abschlussgala noch alles „nach Plan“ zu laufen. Die Noch-Geschäftsführerin des Filmfestivals, Mariëtte Rissenbeek, erinnerte an das Massaker des 7. Oktobers, bevor man zur Preisverleihung schritt.

Bei der kam man aus dem ungläubigen Staunen nicht mehr heraus. Juroren hatten „Cease Fire Now“-Stoffteile an ihre Abendgarderobe geheftet, Preisträger wie der Regisseur Ben Russell, einer der beiden Regisseure des Dokumentarfilms „Direct Action“, trugen, wie eine der mit ihm auf die Bühne gekommenen Aktivistinnen aus dem Film, Palästinensertücher zur Schau, und Russell sprach in Zusammenhang mit der Situation in Gaza von „Genozid“.

Einseitige Parteinahme

Andere, wie die Gewinnerin des Goldenen Bären, die französisch-senegalesische Regisseurin Mati Diop, die im Wettbewerb mit dem Dokumentarfilm „Dahomey“ vertreten gewesen war, erklärten wiederum ihre „Solidarität mit Palästina“. Für all das hatte es Applaus bis hin zu Jubel gegeben, sodass am Ende der Eindruck blieb, die Veranstaltung habe bevorzugt pro-palästinensischen Stimmen eine Bühne gegeben.

Im Verlauf des Abends hatte nach Rissenbeek schließlich niemand mehr die israelischen Geiseln oder gar die israelischen Opfer der Hamas erwähnt. Stattdessen herrschte einseitige Parteinahme und nuancenfreie Kritik an Israel vor.

Dass jetzt der Begriff des Antisemitismus mit der Veranstaltung in Zusammenhang gebracht wird, hat vor allem mit dem Nachspiel vom Sonntag zu tun, bei dem auf dem Instagram-Kanal der Berlinale-Sektion „Panorama“ Posts zu sehen waren wie der in Deutschland unter Strafe stehende Slogan „Free Palestine – From the River to the Sea“. An der offiziellen Mitteilung der Berlinale, ihr Kanal sei „gehackt“ worden, bestehen seither Zweifel. Das Festival stellte Strafanzeige gegen unbekannt.

Kritik an Claudia Roth

Waren die Reaktionen auf die Preisverleihung schon kritisch ausgefallen, eskalierte die Auseinandersetzung um den Abschluss der Berlinale danach stetig. So warf Israels Botschafter Ron Prosor der deutschen Kulturszene auf X vor, „antisemitische und israelfeindliche Äußerungen seien mit tosendem Applaus bedacht worden“, und sie rolle den Roten Teppich „ausschließlich für Künstler“ aus, denen es um „Israels Delegitimierung“ gehe.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die selbst auf der Preisverleihung zugegen war, kritisierte ihrerseits am Montag auf X die Filmemacher, die auf der Veranstaltung sprachen, dass sie den „Terrorangriff der Hamas“ nicht erwähnten. Roth steht dabei selbst in der Kritik. Ihr Parteikollege von den Grünen, Volker Beck, hatte ihr zuvor eine zögerliche Haltung vorgeworfen. Und sogar Bundeskanzler Olaf Scholz meldete sich am Montag zu Wort. An die Adresse der Berlinale gerichtet ließ er mitteilen, „dass eine derart einseitige Positionierung so nicht stehengelassen werden kann“.

Schärfere Kritik kam von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner, der am Montag meinte, der Berlinale sei international „schwerer Schaden“ entstanden: „Ich erwarte Aufklärung, zumal es dabei auch um strafrechtlich relevante Vorgänge geht“, so Wegner.

Bundesjustizminister Marco Buschmann wiederholte am Mittwoch die Einschätzung, das Festival habe „schweren Schaden genommen, weil dort Antisemitismus viel zu unwidersprochen geblieben ist“. Er drohte sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen. Damit bezog er sich allerdings auf den strafrechtlich relevanten Post, nicht auf die Berlinale-Gala, was zusätzlich zur Verwirrung beitrug. Der Einwand der Symbolpolitik gegen ihn erscheint gerechtfertigt.

Erhöhte Alarmbereitschaft

In der Zwischenzeit gab es, so was gehört zum Geschäft, Rücktrittsforderungen an Claudia Roth, insbesondere Bayerns Staatskanzleichef Florian Herrmann von der CSU hielt diese Intervention anscheinend für geboten. An dieser Forderung bemängelte denn auch der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, einen „faden Beigeschmack“. Mit seiner Frage, ob Roth „überhaupt einen Einfluss auf die Kulturpolitik in diesem Land“ habe, machte er ihr andererseits nicht unbedingt ein Kompliment für ihre Arbeit.

Dass es in dieser Debatte nahezu um alles zu gehen scheint, hat bloß zum Teil mit einer erregungswilligen Öffentlichkeit zu tun. Nach den Erfahrungen mit antisemitischer Kunst auf der documenta fifteen ist die Alarmbereitschaft, wie sie sich jetzt gegenüber der 74. Berlinale zeigt, auch ein Zeichen dafür, dass große Teile des öffentlichen Lebens allein schon dem Eindruck entgegentreten wollen, bei Kulturveranstaltungen in Deutschland sehe man politisch nicht so genau hin. Und sei es „bloß“ eine unausgewogene Parteinahme.

Selbst wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass auf der Preisverleihung keine antisemitischen Worte fielen, kann man immer noch den Vorwurf erheben, die Gala sei mit einer Einseitigkeit aufgefallen, die politisch verheerend ist.

Wunsch nach Widerspruch

Ob man das Ergebnis hätte verhindern können, wird in Zweifel gezogen. Wie Meron Mendel, der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, in der Sache meinte: „Versuche, das alles von der Politik zu regulieren, funktionieren nicht.“ Sogar die Möglichkeiten der Berlinale, von sich aus während der Gala zu intervenieren, beurteilte Mendel skeptisch: „Solche Vorstellungen sind realitätsfern und hätten die Situation keineswegs besser gemacht.“

Politiker wie Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda widersprechen. Er hätte sich „bei der Veranstaltung der Berlinale von den Beteiligten klaren Widerspruch gewünscht“. Auch die Vorsitzende des Bundestags-Kulturausschusses, Katrin Budde, findet: „Die Leitung, die Moderation, Jurymitglieder, andere Preisträger hätten die Möglichkeit gehabt.“

Ob der Schluss Buddes, dass sich daran zeige, „wie stark der Antisemitismus und die Israelfeindlichkeit in Teilen der Kulturszene verankert ist“, sich durch die Ereignisse rechtfertigen lässt, mag erörterungsbedürftig sein. Doch kann man festhalten, dass dieses Unbehagen spätestens durch die documenta fifteen reichlich Nahrung erhalten hat und mit einem Gewährenlassen wie bei der Berlinale jetzt nichts erkennbar geschehen ist, um etwas daran zu ändern.

Dass der Publizist Michel Friedman die Berlinale zum Anlass nahm, um in der SZ zu schreiben: „In der Kulturszene setzt sich schon seit Langem Aggressivität gegen den Staat Israel durch, und antisemitische Tendenzen werden immer radikaler“, muss man daher als Warnung ernst nehmen. Am Ende ist das letzte Wort zur Berlinale nicht entscheidend. Eine Auseinandersetzung um Antisemitismus in der Kultur ist es aber sehr wohl. Dass sie bei der Preisverleihung ausblieb, ist einer der Gründe, weshalb weiter so heftig um sie gestritten wird.

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