Schach-Legenden im Vergleich: Der Beste am Brett

Wer ist der größte Schachspieler? Carlsen, Fischer oder Kasparov? Es ist Viswanathan Anand.

Vorbild Anand: auffällig viele Schachtalente kommen derzeit aus Indien Foto: imago

Regelmäßig ploppt bei Interessierten die Frage auf, wer wohl der größte Schachspieler aller Zeiten sein könnte. Ist es der virtuose, in jeder Hinsicht Schach erneuernde Paul Morphy, the pride and sorrow of chess, der bei seinen Europatourneen die Gegner regelmäßig derart an die Wand spielte, bis sie ganz zwei­dimensional wurden?

Ist es Bobby Fischer, der die Dominanz der Sowjet-Großmeister durchbrach mit seinem kompromisslosen, angriffslustigen Spiel; der das Wunder schaffte, 20 Partien in Folge gegen Weltklassegegner zu gewinnen? Vielleicht Garri Kasparov, der die Schachwelt 20 Jahre lang dominierte? Oder ist es Magnus Carlsen, diese Maschine, der auf jeden Fall der beste Endgame-Spieler aller Zeiten ist und Finessen und Details zu erkennen und verarbeiten vermag, die allen anderen wie ein gordischer Knoten erscheinen.

Die rein schachliche Antwort gibt es nicht, denn das Wissen über das Spiel hat sich mit jedem Jahr erweitert (und ist mit der Implementierung der Computeranalysen ohnehin auf eine neue Ebene gesprungen). Quervergleiche zwischen den Jahrzehnten und -hunderten laufen also immer ins Leere, und doch gibt es eine eindeutige Antwort darauf, wer der größte Schachspieler aller Zeiten ist: Viswanathan Anand.

Dem Schach eine ganze Welt aufgeschlossen zu haben, können nicht viele von sich behaupten.

Das mag überraschen, wer zunächst nur auf Titel schaut, schließlich war Viswanathan Anand zwar Weltmeister, aber er strahlte nicht die Dominanz aus, die Garri Kasparov vor ihm und Magnus Carlsen nach ihm auszeichnete. Aber ähnlich wie Fischer vor ihm beendete Viswanathan Anand die Ära der sowjetischen Dominanz im Schach, und er tat dies ohne großen infrastrukturellen Apparat im Rücken, fast ohne Unterstützung, und öffnete einem ganzen Subkontinent den Zugang zum Spiel. Das Ergebnis davon lässt sich in einer Statistik nachlesen, die nicht seine ist, aber seine Wirkung gut illustriert: fünf der Top-10-Youngsters im aktuellen Schach sind indischer Nationalität.

Junge indische Riege

Mit Dommaraju Gukesh, zarte 17 Jahre alt, gewann einer aus dieser jungen Riege auf spektakuläre Weise das aktuelle Candidates, das zur Teilnahme an der Weltmeisterschaft im kommenden Jahr berechtigt. Dort tritt Gukesh dann gegen einen momentan eher formschwachen Ding Liren an und könnte der jüngste Weltmeister aller Zeiten werden – das allerdings unter dem Vorzeichen, dass der aktuell stärkste Spieler Magnus Carlsen gar nicht angetreten ist.

Viswanathan Anand erzählt gern die Anekdote, wie er einmal mit dem Zug zu einem ­Turnier fuhr und dabei verschiedene Partien studierte. Ein Mitreisender fragte ihn, was er da tue, und er antwortete, dass er Schach studiere, woraufhin ihn der Mitreisende ermahnte, lieber Sinnvolleres mit seiner Zeit anzufangen. Mit Schach wäre kein Geld zu verdienen, um nach einer kurzen Pause noch hinzuzufügen: außer man sei Viswanathan Anand.

Viswanathan Anand ist derjenige, der dafür gesorgt hat, dass das nicht mehr stimmt. Und Gukesh Dommaraju hat es nach dem Gewinn des Candidates auch klar gesagt: ­Anand war ihm nicht nur Inspiration und Vorbild, sondern er hat auch ganz praktisch Unterstützung geleistet. Nicht nur ihm, möchte man hinzufügen: Dass die indische Metropole Chennai, wo ­Anand einst in einem britischen Schachclub seine zweiten und dritten Schritte in den Sport tat, inzwischen eine der Metropolen des Schachs ist, ist auch mit eines seiner Verdienste.

Dem Schach eine ganze Welt aufgeschlossen zu haben, können nicht viele von sich behaupten: Viswanathan Anand kann es. Obwohl er vermutlich zu bescheiden ist, um es auch nur zu denken.

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