Rettungseinsätze nach Marokko-Erdbeben: Gute Hilfe, schlechte Hilfe

In Marokko läuft die Zeit aus, Verschüttete lebendig zu retten. Dennoch lässt das Land nur wenig Unterstützung rein. Aus politischen Gründen?

Männer in blauen Schutzanzügen und roten Helmen arbeiten in einem zerstörten Gebäude

Kleinteilige Arbeit: In Amizmiz suchen Helfer am Sonntag nach verschütteten Überlebenden Foto: Nacho Doce/reuters

BERLIN taz | Lange ließ sich Marokkos Führung Zeit. Nachdem das Erdbeben in der Nacht auf Samstag den Süden des Landes heimgesucht hatte, vergingen fast zwei Tage, bevor Marokko einige der internationalen Hilfsangebote akzeptierte. Etliche Länder hatten zu diesem Zeitpunkt ihre Hilfe in Aussicht gestellt – zunächst ohne Antwort zu erhalten.

Mit Spanien, Großbritannien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten sind es nun zwei arabische und zwei europäische Staaten, die helfen „dürfen“. Als Erklärung für die Verzögerung und die enge Auswahl führte Rabat eine „sorgfältigen Bewertung des Bedarfs vor Ort“ an. Man wolle vermeiden, dass sich Hilfsteams gegenseitig im Weg stehen.

Mittlerweile haben Such- und Rettungsteams aus Spanien, Großbritannien und Katar ihren Einsatz im Erdbebengebiet aufgenommen. Großbritannien etwa ist mit 60 Such- und Rettungsexperten vor Ort, um die Einsätze unter marokkanischer Führung zu unterstützen. Eine Spezialeinheit des spanischen Militärs beteiligt sich mit Suchhunden an Einsätzen; Katar brachte eigene Fahrzeuge mit.

Dass wenig gut koordinierte Hilfe mehr wert ist als unkoordinierte Hilfe en masse, ist nicht von der Hand zu weisen. Dennoch verwunderte das wählerische Verhalten Rabats vor dem Hintergrund, dass nach einem Erdbeben jede Stunde zählt. Die 72 Stunden nach einem Beben gelten als wichtigstes Zeitfenster, um Verschüttete lebendig zu bergen.

Die Rolle des Westsahara-Konflikts

Frankreich, dessen Hilfsangebot bis Montagnachmittag nicht angenommen wurde, wies Mutmaßungen zurück, dass politische Gründe dahinterstehen. „Marokko hat keine Hilfsangebote ausgeschlagen“, sagte Außenministerin Catherine Colonna am Montag. Auch ein Sprecher der deutschen Bundesregierung verlautete: „Politische Gründe kann man hier ausschließen.“

Be­ob­ach­te­r*in­nen erklären sich die Sache indes nicht ganz so unpolitisch. Isabelle Werenfels von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin sieht Marokkos Auswahl der Partnerländer unter anderem vor dem Hintergrund des Konflikts um die Westsahara.

In diesen ist in vergangener Zeit Bewegung gekommen. Während die internationale Gemeinschaft die marokkanische Annexion der Westsahara in den 1970er Jahren bis heute nicht anerkennt, machten die USA unter Ex-Präsident Donald Trump 2020 eine historische Kehrtwende und anerkannten die Souveränität Marokkos. Im Gegenzug erklärte sich Rabat bereit, seine Beziehungen mit Israel zu normalisieren – ein klassischer Trump-Deal. Israel folgte in diesem Jahr dem US-Beispiel.

Spanien schwenkt ein
Isabelle Werenfels, Analystin

„Spanien ist in der Westsahara-Frage auf die marokkanische Linie eingeschwenkt“

Während Länder wie Deutschland und Frankreich an ihrer Position festhalten, hat sich auch Spanien in der Westsahara-Frage jüngst der marokkanischen Position angenähert. Letztes Jahr schrieb Spaniens Regierungschef dem marokkanischen König einen Brief, in dem es hieß: „Spanien betrachtet den marokkanischen Vorschlag für eine Autonomie (unter marokkanischer Herrschaft, d. Red.) als den ernsthaftesten, glaubwürdigsten und realistischsten zur Lösung dieses Streits.“

Eine Landkarte, wo die betroffenen Gebiete eingezeichnet sind.

Betroffene Gebiete in Marokko

„Spanien ist in der Westsahara-Frage auf die marokkanische Linie eingeschwenkt“, antwortet Werenfels auf die Frage, warum Marokko das spanische Hilfsangebot – im Gegensatz etwa zum deutschen oder französischen – akzeptierte. Die Auswahl der vier Staaten sieht sie als „Signale an wichtige Partner“ Marokkos und spricht im Umkehrschluss von „einem unmissverständlichen Zeichen an den Rest der Europäer und an die EU“.

Frankreich wendete sich dem Gegenspieler Algerien zu

Besonders zwischen Frankreich und Marokko herrsche eine Krise, sagt Werenfels. Marokko habe seit Januar keinen Botschafter mehr in Paris. Macron hatte sich zuletzt um engen Kontakt zu Marokkos Gegenspieler Algerien bemüht. Letztes Jahr besuchte er drei Tage lang das Land, das aktiv die Unabhängigkeitsbewegung Polisario in der Westsahara unterstützt. Von einer „neuen Ära“ der Beziehungen sprach Macron.

Was die anderen drei ausgewählten Staaten betrifft, so haben diese wie Spanien besondere Beziehungen zu Marokko. Die Emirate seien vor allem in Fragen der Sicherheitskooperation „ein wichtiger Partner für Marokko“, sagt Werenfels. Zudem waren die Emirate 2020 das erste arabische Land, das eine diplomatische Vertretung in der marokkanisch kontrollierten Westsahara eröffnete – was Marokkos Außenminister unverblümt als „Anerkennung der marokkanischen Identität“ der Westsahara wertete.

Katar sei in der marokkanischen Bevölkerung beliebt. Unter anderem pflege der Staat gute Beziehungen zur islamistischen Oppositionspartei PJD. Großbritannien dagegen habe sie mehr überrascht, sagt Werenfels, weil das Land in der Westsahara-Frage nicht wie Spanien umgeschwenkt sei. Allerdings seien die Briten pragmatischer als andere Staaten, was mögliche Investitionen in dem Gebiet betreffe.

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