Regisseur Elegance Bratton im Gespräch: „Ich kann mich überall behaupten“

Der Regisseur Elegance Bratton erzählt im Spielfilm „The Inspection“ sein Leben. Er spricht über Empowerment durch die Marine und schwule Soldaten.

Ellis French (Jeremy Pope) liegt mit offenen Augen im Bett.

Ellis French (Jeremy Pope) lernt bei den Marines, er selbst zu sein Foto: X Verleih

taz: Herr Bratton, der Protagonist Ihres Kinofilms „The Inspection“ ist jung, schwarz, schwul und obdachlos. Er findet keinen Halt im Leben, die US-Gesellschaft gibt ihm keine Chance. Bis er seinen Weg zum Militär findet, genau genommen in die Eliteeinheit der Marines. Es ist Ihre eigene Lebensgeschichte, die Sie da verfilmt haben, oder?

Elegance Bratton: Ich bin in einem sehr religiösen Haushalt aufgewachsen. Mir wurde beigebracht, dass Homosexualität ein Fehler ist und dass mein Leben deshalb misslungen sei. Verflucht wegen des Fehlers, als der ich geboren wurde. Als ich zu den Marines ging, sagte mein Ausbilder zu mir etwas Unerwartetes. Er sagte: „Weißt du was? Du liegst falsch. Du bist wichtig. Dein Leben hat einen Sinn, weil du die Verantwortung hast, den Marine zu deiner Linken und zu deiner Rechten zu beschützen.“ An diesem Vertrauen habe ich festgehalten, und es hat mich aus dem Obdachlosenheim herausgeholt.

Elegance Bratton wurde in Jersey City geboren. Mit 16 Jahren warf ihn seine Mutter aus dem Haus, weil er schwul war. Er verpflichtete sich beim U. S. Marine Corps und studierte später an der Columbia University und der Tisch School of the Arts. Er drehte den Dokumentarfilm „Pier Kids“ (2019). „The Inspection“ ist sein Spielfilmdebüt.

Das Verhältnis Deutschlands zu seinem Militär ist durch die historischen Verbrechen des Landes ein anderes als das in den USA. Sie beschreiben Ihren Werdegang bei den Marines als Emanzipationsprozess. Militär und Empowerment, wie geht das zusammen?

Die meiste Zeit wurde ich dort behandelt wie jeder andere. Ich wurde wertgeschätzt für das, was ich war – eine Erfahrung, die mir bis dahin fremd war. Im Bootcamp waren alle gleich, mussten laufen, Liegestütze und Klimmzüge machen. Und Mann, war ich schnell. Ich war auch stärker als die meisten anderen. Diese Erfahrung war wirklich ermutigend für mich.

Für „The Inspection“ haben Sie sich von dem dokumentarischen Ansatz Ihrer früheren Arbeiten „Pier Kids“ und „My House“ verabschiedet und sich der filmischen Fiktion und dem Spielfilm zugewendet. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

„The Inspection“. Regie: Elegance Bratton. Mit Jeremy Pope, Gabrielle Union u. a. USA 2023, 95 Min.

Ich habe das, was ich filmische Legasthenie nennen würde, da ich persönlich keinen Unterschied zwischen Dokumentar- und Spielfilm erkennen kann. Ich denke, dass es am Ende einfach ein Film ist. Und es gibt zwei verschiedene Wege, einen zu machen. Der eine Weg ist das Filmen von unkontrollierter Handlung, der andere Weg ist die Kontrolle der Handlung. Beim Dokumentarfilmdreh kann man einer Person stundenlang folgen. Und man weiß nicht wirklich, wonach man sucht, bis es sich offenbart. Das kann in zwei Minuten passieren. Bei einem Spielfilm kann man stundenlang eine Aufnahme vorbereiten. Man lässt die Schauspieler proben und tut alles, was man tun muss. Und dann findet der Schauspieler einen ganz anderen Zugang, als du erwartet hast, und du jagst genau dem nach. Von da an heißt es: „Scheiß auf die Pläne. Vergessen wir die Proben. Wir fangen von vorne an.“ Es gibt eine Art improvisatorisches Element in dem, was ich als Geschichtenerzähler tue, eines, das die Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion verwischt.

Der Film spielt während der „Don’t ask, don’t tell“-Zeit im US-Militär. Was ist für den Zeitabschnitt prägend?

„Don’t ask, don't tell“ bedeutet, dass man beim Militär nicht gefragt werden darf, ob man schwul ist. Man muss es nicht mitteilen. Aber wenn das Militär herausfindet, dass man schwul ist, wird man wegen seiner Homosexualität rausgeschmissen. Ich hatte einen Vorgesetzten, der sagte zu mir: „Hör mal, dein Name ist Elegance. Du bist 29 Jahre alt. Du hast keine Kinder. Du hast keine Freundin, du wirst nicht befördert werden. Du kannst keine Karriere beim Marine Corps machen, wenn wir nicht wissen, ob du schwul bist oder nicht. Denn wir werden einfach davon ausgehen, dass du es bist.“ Sie brauchen dich gar nicht zu fragen. Deine ganze Karriere kann durch die Wahrnehmung, dass du schwul bist, beeinträchtigt werden, selbst wenn du es nicht bestätigst.

Das hört sich nach einer zwiespältigen Situation für Sie an. Hat sich die Situation im Militär seit Ihrer Dienstzeit verbessert?

Das Gesetz ist aufgehoben und 2011 außer Kraft gesetzt worden. Aber wissen Sie, Gesetze zu ändern, ist eine Sache. Die Kultur zu verändern, ist eine ganz andere Sache. Das Marine Corps ist ein Mikrokosmos Amerikas, eines Landes, in dessen einer Hälfte man in der Schule nicht offen sagen darf, dass man schwul ist. Der Bundesstaat Florida verbietet buchstäblich queere Bücher in seinen Schulbibliotheken. Nur weil man ein Gesetz ändert, heißt das nicht, dass sich auch die dahinterstehende Kultur verändert.

Im Film folgen wir Ihrem Protagonisten, gespielt von dem Schauspieler Jeremy Pope aus der Obdachlosigkeit und den Straßen von New York City ins Bootcamp der Marines. Da Sie selbst diesen Weg beschritten haben: Was war das Prägendste in dieser Zeit?

Die Erfahrung unserer Vergänglichkeit. Besonders wenn du jung bist auf der Straße. Ich erinnere mich noch gut an mein Alter von 16 bis 23. Ich sah mich selbst als Straßenpoet und wohnte teils bei Freunden, die noch im College waren. Wir alle nahmen Drogen, wir alle gingen auf Partys. Es war so eine Art Boheme-Erfahrung. Alles scheint möglich. Mit Mitte zwanzig aber beginnen die Möglichkeiten zu versiegen. Und dieses Übergangsleben beginnt mehr und mehr nach Obdachlosigkeit auszusehen. So bin ich mit Mitte zwanzig im Homeless Shelter gelandet. In New York und in anderen Städten an der Ostküste. Meine Lektion der Vergänglichkeit hatte ich spätestens gelernt, als ich das erste Mal jemanden um Geld angebettelt habe.

Fiel es Ihnen das zunächst schwer?

Ich habe gelernt, nicht direkt nach Geld zu fragen, sondern auf Umwegen. Oft ging es darum, einen Platz zum Schlafen zu finden oder dass jemand im Supermarkt meine Einkaufskosten übernimmt. Es war auch eine gewisse Verführungs- und Manipulationskunst, die mir später als Regisseur sehr geholfen hat, wenn es darum ging, von Produzenten Geld zu bekommen.

Gibt es Eigenschaften, die Sie seit der Zeit auf der Straße beibehalten haben?

Ich bin in der Zeit zum begeisterten Menschenbeobachter geworden und bin es auch heute noch. Damals war es entscheidend für mich, eine Situation, einen Raum, eine Menschenmenge richtig einschätzen zu können – das ist es für mich auch heute. Was mich bis heute nicht verlassen hat, ist meine Angst, wieder obdachlos werden zu können und all das noch mal durchmachen zu müssen. Diese Angst ist existenziell, ich kann sie nicht abschütteln, egal wie erfolgreich ich heute sein mag. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass sich jemand anderes so viele Gedanken macht wie ich über meine Deadlines. Ich habe das Gefühl, wenn ich nicht pünktlich liefere, stehe ich mit einem Bein wieder im Obdachlosenheim.

Im Film erleben die Zuschauer die Erniedrigung des Protagonisten bei den Marines, teils auch rassistische Gewalt gegen ihn. Andererseits wird auch sichtbar, dass seine Mitsoldaten für ihn einstehen. Welche der beiden Erfahrungen überwiegt für Sie?

Beide Erfahrungen sind gleichwertig. Es gibt beim Militär offenen Rassismus, der gewalttätig und beängstigend sein kann, und es gibt ihn in versteckter Form. Dieser versteckte Rassismus äußert sich vor allem darin, dass einem Karrierechancen verwehrt bleiben. Was ich aber bei den Marines gelernt habe, ist, dass ich überall in der Lage sein kann, mich zu behaupten. Dass ich nicht nur in einer Schwulenbar befreit leben kann. Ich muss nicht unbedingt Frauenkleider tragen. Ich muss nicht auf einem Voguing-Ball tanzen, um einen Platz in der Welt zu haben. Ich kann gehen, wohin ich will, und ich kann mich entfalten, wo immer ich es für richtig halte.

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