Rechte und linke Gelbwesten: Helden der Revolution

In Frankreich gehen Faschisten und Antifaschisten aufeinander los. Ein jüdischer Intellektueller wurde bedrängt. Revolutionsromantik? Fuck off!

Zwei Menschengruppen stehen sich gegenüber, beide tragen gelbe Westen oder haben gelbe Fahnen in der Hand

Rechtsextreme und antifaschistische Gelbwesten gehen aufeinander los, hier am 9. Februar in Lyon Foto: imago/Zuma Press

Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche und zum Glück seit Langem vorbei. Denn zwar war unter den Romantikerinnen und Romantikern vieles schön, aber doch auch einiges ziemlich vernebelt. Dies ist ein Text zum Thema Revolutionsromantik und wohin sie führen kann, denn sie führt ja zu nichts Gutem.

In Frankreich, das wissen Sie vielleicht, soll ja einiges besser sein als in Deutschland, jedenfalls, wenn wir uns sagenwirmal Linken glauben, denn wir haben da Erfahrung: Einst wurde dort die Französische Revolution ausgefochten und in der weiteren Folge gibt es heute in Europa ein Frauenwahlrecht und überhaupt eine Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und vieles mehr und deswegen schauen wir natürlich mit Neid und Schauer auf die mutigen Menschen, Frauen!, die dies damals für uns erfochten haben – in Frankreich. Das war gut. Danke schön!

Es gibt in Frankreich noch zwei weitere Phänomene, auf die aufklärerische Menschen in Deutschland sich gerne beziehen: Erstens gibt es die französische Intellektuellenfigur, die gesellschaftlich interveniert und gerne auch sagt, was sie denkt oder denkt, was sie sagt; ganz anders als der Typus des verobjektivierten deutschen Wissenschaftlers, dessen heißester Atem in der Regel dem Hauch der Statistik entstammt.

Zweitens gibt es in Frankreich eine Streikkultur, von der deutsche Gewerkschaftsfunktionäre schon oft geträumt haben, also jedenfalls die wilderen unter ihnen. Geht dem Franzosen etwas gegen den Strich (oder der Französin), dann sind er oder sie alsbald auf der Straße; seien es die Kids aus den Ban­lieues, die die Fensterfassaden der weißhäutig geprägten Innenstadtlokalitäten zerlegen oder Lastwagenfahrer, die auf Autobahnen Reifen anzünden und Blockaden organisieren; selbst eine gewöhnliche Gewerkschaftsdemonstration kommt, im Vergleich zu einer deutschen, meist mit der zehnfachen Mannschaftsstärke einher und auch einem selbstbewussteren Gestus.

Sympathien für den Aufstand

Dies sind einige der Gründe dafür, weshalb in Deutschland sowohl in der politischen sagenwirmal Linken als auch in der politischen sagenwirmal Rechten viele mit einem gewissen Neid nach Frankreich schauen und hier vermissen, was dort vor sich geht. Das sind die Revolutionsromantiker.

Vor denen muss man sich in Acht nehmen.

Die Regel des Aufstands ist, dass es keine Regeln gibt – und wenn, dann die des Stärkeren

Denn es gibt ja auch hierzulande, wenn schon keine Revolution, so ja doch ein relativ weit verbreitetes Phänomen, dass Menschen Sympathien hegen für Revolution und Aufstand. Angeblich, heißt es dann oft, könne man dabei irgendetwas selbst in die Hand nehmen und natürlich ist es schön und sehr häufig auch adäquat, etwas selbst in die Hand zu nehmen.

Ein Pamphlet der Revolutionsromantik, schmissig geschrieben, stammt übrigens auch von ein paar Franzosen, die sich der radikalen Linken zurechnen und in ihrer Schrift allerlei Bezug auf Lokales nahmen. Damit meinen sie irgendwelche Orte, an denen irgendetwas passiert.

Ein Traum von Quatsch

Das Buch trägt den Titel „Der kommende Aufstand“. Es ist eine Romantik, die auch in Deutschland viel besprochen wurde. Autoren: ein sogenanntes „Unsichtbares Komitee“. Als mal einer von denen auf einer Bühne in Hamburg was sagen sollte, um die deutsche Revolutionsromantik und ihre auch sehr konkreten Befürworter und Protagonisten ein wenig zu inspirieren, stellte sich heraus, dass er ein Würstchen war: Zu klein für den eigenen Schatten – aber ansonsten ganz gut vernetzt.

Jetzt sieht man auf Frankreichs Straßen wieder etwas Aufstandsmäßiges: die sogenannten Gelbwesten. Menschen begehren dabei auf, oft aus nachvollziehbaren Gründen, und die meisten von ihnen auch in nachvollziehbaren Formen, weil sie das sogenannte „System“ herausfordern wollen.

Einige, also viele von denen tun Dinge, die den Autoren des „kommenden Aufstands“ gefallen dürften: Sachen kaputt machen. Sie teilen sich damit eine Leidenschaft, die auch in nationalistischen und revanchistischen Kreisen derzeit wieder Sehnsüchte produziert: Den Bruch mit dem System kenntlich zu machen, den „Tag X“ zu markieren oder herbeizuführen, den – eigene Anmerkung: demokratischen – Staat mit seinen mal so oder mal so verachteten Formen zu zerschlagen.

Im kommenden Aufstand heißt es: „Die Macht ist die Organisation der Metropole selbst. Sie ist die makellose Totalität der Warenwelt in all ihren Punkten. Wer sie lokal besiegt, produziert quer durch die Netzwerke eine planetare Schockwelle.“ Und an anderer Stelle: „Es geht darum, auf lokaler Ebene die Kommunen, die Zirkulation und die Solidaritäten zu verdichten, bis zu dem Punkt, an dem das Territorium unlesbar, undurchdringlich wird für jegliche Autorität. Es geht nicht darum, ein Territorium zu besetzen, sondern es zu sein.“

So viel zur Revolutionsromantik.

Das sichtbare Komitee

Das ist alles gut, so lange es freundliche Gemeinschaften meint, die nett aufeinander achten. Auch wenn es altmodisch klingt: Kirchen, trotz all ihrer ja oft auch verachtenswerten Dogmen, leisten genau dies: Solidaritäten zu verdichten. Das haben Kirchen und politische Dogmatiker übrigens auch gemeinsam: die große Erzählung.

Nicht mehr unsichtbar, sondern sichtbar war in den letzten Wochen allerdings auch: Dass auf Frankreichs Straßen inzwischen Faschisten und Antifaschisten offen aufeinander losgingen, weil sich aus der Menge der Aufständischen zwei Teilmengen bilden ließen: Erst griffen sie gemeinsam die Repräsentanten des Staates an und gingen auf Polizisten los, zündeten Autos an und schmissen so einiges kaputt. Das war schon mal nicht sonderlich romantisch, aber immerhin verbindend.

Und dann begann etwas, das den Wesenskern des Aufstands meist be­gleitet: Sie gingen sich gegenseitig an, prügelten aufeinander ein, drängten sich hin und zurück, wie zum Beispiel am 9. Februar in Lyon. Die einen sagen, die einen hätten ­gewonnen. Die anderen sagen, die anderen.

Romantiker in Deutschland, zum Beispiel bei Twitter, fanden das richtig, weil sie der Meinung sind, dass man Faschisten verhauen sollte. Eine ordnende Instanz konnte jedenfalls nicht eingreifen, denn die war ja vorher verjagt worden: die Autorität. Das erste Opfer der Revolution ist in der Regel die körperliche Unversehrtheit. Das zweite die Pressefreiheit. Manchmal auch umgekehrt.

Die Regel des Aufstands ist, dass es keine Regel gibt – und wenn, dann nur die des Stärkeren. Deshalb ist die Revolutionsromantik ein gefährliches Geschäft. Als Tischgespräch unterhaltend, am Straßenrand ist sie vermessen.

Am vergangenen Samstag nun beschimpften und bedrohten antisemitische Gelbwestler den 69-jährigen Intellektuellen Alain Finkielkraut in Paris. Finkielkraut ist ein jüdischer Mann polnischer Abstammung, dessen Vater das KZ Auschwitz überlebt hat. Er wurde auf der Straße erkannt und bedrängt.

Ihn anzugreifen ist eine Schande.

Diese Schande ist nicht nur, aber auch eine Folge der Revolutionsromantik. Kluge Menschen sollten sich ihr nicht anschließen. Revolutionen waren niemals romantisch. Es ist im Prinzip ganz einfach: Revolutionen und Revolutionsgequatsche in demokratischen Staaten sind eine ausgesprochene Scheißidee.

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