Polizeigewalt in Frankreich: U-Haft auch für Polizisten

In Marseille wird gegen vier Polizeibeamte ermittelt, die in den Krawallnächten im Einsatz waren. Der Polizeichef verlangt ihre sofortige Freilassung.

Französische Polizisten mit Helmen.

Ermittlungen gegen Kollegen: Polizisten in Marseille Foto: David Rossi/MAXPPP/picture alliance

PARIS taz | Nicht nur der Tod des jungen Nahel, der Ende Juni in Nanterre bei einer Kon­trolle von einem Streifenpolizisten erschossen wurde, wird gerichtliche Folgen haben. Auch in Marseille ermittelt die Justiz gegen Polizeibeamte, die bei den Krawallen im Einsatz waren, wegen des Verdachts auf schwere Körperverletzung. Was in einem Rechtsstaat selbstverständlich ist, erregt in Kreisen der französischen „Ordnungshüter“ Anstoß. Alleine schon der von den Medien verwendete, aber pauschale Begriff „Polizeigewalt“ sei absurd und eine Beleidigung der staatlichen Autorität.

In Marseille demonstrieren Polizisten offen gegen die Eröffnung von Gerichtsverfahren gegen vier ihrer Kollegen. Und dass einer von ihnen aufgrund einer richterlichen Anordnung bis zum Prozess in Untersuchungshaft sitzt, erscheint ihnen unvorstellbar. Die Polizeigewerkschaften verlangen die sofortige Freilassung.

Seit Wochenbeginn haben sich Dutzende von Beamten aus Solidarität mit ihm krank geschrieben oder leisten nur Dienst nach Vorschrift. In der Folge ist die Aktivität in den Kommissariaten auf ein striktes Minimum reduziert. Es geht den Polizeibeamten ums Prinzip, um einen Präzedenzfall.

Die Debatte hat sich deshalb auf das ganze Land ausgedehnt, weil nun auch der Chef der nationalen Polizei, Frédéric Veaux, die polizeilichen Proteste gegen die Justiz unterstützt hat. In einem Interview sagte er, es gehe nicht an, dass ein Polizist, auch wenn er im Dienst einen schweren Fehler begangen habe, in Untersuchungshaft gesteckt werde. Gibt es also für die Polizei, die in einem demokratischen System ein Gewaltmonopol im Namen des Volkes besitzt, bei Verstößen gegen Regeln und Gesetze eine Sonderbehandlung?

Macron: Niemand steht über dem Gesetz

Die Polizisten von Marseille, die sich nicht damit abfinden wollen, dass die Justiz ihre Kollegen behandelt wie andere Bürger und Bürgerinnen, sind aufgebracht. Da sich die Regierung im Kontext der jüngsten Krawalle nach dem Tod von Nahel auf keinen Fall mit den Ordnungskräften anlegen möchte, hat sich Innenminister Gérald Darmanin hinter den Polizeichef gestellt, indem er ihm sein „volles Vertrauen“ ausgesprochen hat. Staatspräsident Emmanuel Macron reagierte zunächst gar nicht und ließ schließlich verlauten, er verstehe die „Emotion“ der Polizisten, aber generell stehe „in der Republik niemand über dem Gesetz“.

Die Richter- und Anwaltsverbände, aber auch die linken Oppositionsparteien sind dennoch weiterhin empört. Denn die Polizisten fühlen sich dank der Rückendeckung durch ihre Vorgesetzten und die Staatsführung in ihrem Widerstand gegen die Justiz bestärkt.

Dabei, so die Kritik, werde in unheilvoller Weise an den Fundamenten einer demokratischen Ordnung gerüttelt. „Es gibt ein Prinzip der Demokratie: Das Gesetz gilt für alle. Polizisten, die in Ausübung ihrer Funktion gegen das Gesetz verstoßen, werden strafrechtlich verfolgt“, lautet der Protest aus dem linken Lager.

Ob das nur ein Prinzip ist oder auch in der Gerichtspraxis existieren darf, darüber wird jetzt in Frankreich noch gestritten werden.

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