Pazifismus heute: Moos und Moral

Wieso verteidigt eigentlich niemand mehr mit Verve den Pazifsmus? Ein fiktives Gespräch unter Freundinnen.

Der Physiker Albert Einstein.

War Albert Einstein Pazifist? „Er wurde!“ Foto: AP/dpa

„Niemand verteidigt mehr mit Verve den Pazifismus!“, sagt die Freundin und rührt drei Löffel Honig in ihren Espresso.

„Doch, aber nur die Falschen aus den falschen Gründen“, sagt die andere Freundin.

„Was sind die falschen Gründe, den Pazifismus zu verteidigen?“

„Angst und Bequemlichkeit?“

„Aggressoren machen lassen, weil man weit genug weg ist.“

„Der Pazifismus ist überholt, zumindest in der Praxis!“

Pazifismus war nie praxistauglich, außer du lebst allein im Wald als eine Art menschliches Moos.“

„Ich hab mich auch urban noch nie prügelnd durchgesetzt!“

„Aber womöglich hast du eine Partei gewählt, die da mitmacht.“

„Hm.“

„Was soll man tun? Die Bösen walten und wüten lassen? Zu welchem Preis?“

„Wollen nicht alle zu guter Letzt Frieden? Nur eben zu ihren bestmöglichen Bedingungen!“

„Du meinst sogar die Bösen?“

„Ruhe und Gerechtigkeit spielt denen nicht in die Karten.“

„Das Gegenteil von Pazifismus heißt Bellizismus.“

„Hat das was mit aus dem Bauch heraus zu tun?“

„Auf jeden Fall mit der Lust auf Krieg und der Überzeugung, dass im militärischen Kampf der richtige Weg liegt.“

„Der wohin führt?“

„In gebrochene Völker, die sich Herrschern präventiv unterwerfen.“

„Pazifismus würde ich auch eher dem ausgeklügelten Intellekt zuordnen.“

„Du meinst, nur Intelligenzbestien sind fähig zu wahrhaftigem Frieden?“

„Nein, aber nur wer weiterdenkt, weiter und immer weiter und auch mal um ein paar Ecken!“

„Kommt wo an?“

„Naja, gedanklich da, dass Hass und Mord bloß zu Hass und Mord führen. Moralische Evolution wird blockiert.“

„Und es gipfelt dann intellektuell alles im vollendeten Pazifismus?“

„Pazifismus ist keine Ja oder Nein Frage!“

„Aber kann es Pazifismus in Scheibchen geben?“

„Ist Säbelrasseln schon das Ende des Pazifismus?“

„Ganz sicher, wenn die Säbel Atombomben sind!“

„Mit Atombomben rasseln ist hochunmoralisch.“

„War Einstein Pazifist?“

„Er wurde!“

„Der arme Mann.“

„War er trotz allem ein guter Mensch?“

„Sind konsequente Pazifisten pauschal die Guten?“

„Nee, wenn andere angegriffen werden, sollte man helfen, wenn man es kann, sonst ist das moralisch …“

„Unanständig!“

„Also muss der Pazifismus enden, bevor er unanständig würde?“

„Unanständiger Pazifismus wäre kein Humanismus.“

„Im Zweifel für die Schwächeren mit Gegenwehr und Verteidigung mit Waffen?“

„Aber nicht rauf auf die anderen Schwächeren.“

„Also ist Gewalt gegen Starke moralisch ok?“

„Gewalt ist nie ok.“

„Nötig?“

„Ohne das Eingreifen in Konflikte gäbe es immer mehr Tote, oder?“

„Vielleicht ist es genau umgekehrt.“

„Die andere Möglichkeit bleibt immer Theorie, in Sachen Krieg und Frieden gibt es nun mal kein Ying und Yang.“

„Pazifistisch lupenrein kann nur sein, wer bloß träumt.“

„Die Realität macht uns immer alles kaputt.“

„Gibt es nicht so viele verschiedene Realitäten wie es Menschen gibt?“

„Das wär dann Solipsismus, der ist noch abstrakter als Pazifismus.“

„Mit Philosophie kommt man hier ohnehin nicht weiter.“

„Doch das Zögern und Zaudern sollte niemals ausbleiben, politisch, philosophisch, psychologisch.“

„Im Ernst oder als Performance?“

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Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman Roman „Auf Wiedersehen“ ist im April 2023 im Weissbooks Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

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