Online-Beratung für Jugendliche: Mailen gegen den Tod

Junge Ehrenamtliche der Caritas beraten Altersgenossen mit Suizidgedanken per Mail. Heute ist eine symbolische Aktion zum Welttag der Suizidprävention geplant.

Suizidgedanken? Mailen kann helfen. Foto: dpa

Gut möglich, dass Elena schon mal jemandem das Leben gerettet hat. Regelmäßig mailt sie sich mit jungen BerlinerInnen, die Suizidgedanken haben. Sie hört ihnen zu, berät sie. Manchmal bekomme sie schöne Nachrichten, erzählt sie. Etwa wenn jemand schreibt, sie habe ihm Hoffnung gemacht. „Es gab aber auch konkrete Suizidankündigungen.“ Elena kann dann nichts anderes tun, als noch mal eine Mail zu schicken – sie weiß schließlich nicht, wer sich hinter einer E-Mail-Adresse verbirgt.

Die 20-Jährige, die ihren Nachnamen lieber für sich behält, macht mit beim Projekt U25 der Caritas. Schwarz gekleidet, mit Birkenstockschuhen an den Füßen erzählt sie am Mittwoch von ihrem Ehrenamt. 2002 startete die Online-Beratung in Freiburg, seit 2013 gibt es das Angebot auch in Berlin. 30 junge Leute wurden geschult und kümmern sich inzwischen um rund 120 Jugendliche pro Jahr, sagt die Berliner Projektleiterin Christina Obermüller.

Zu tun gibt es genug. 2013 nahmen sich laut dem Amt für Statistik 345 BerlinerInnen das Leben, 41 von ihnen waren zwischen 15 und 30 Jahre alt. Die meisten Selbsttötungen gab es in Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf. Im langfristigen Vergleich lässt sich eine erfreuliche Entwicklung erkennen: Wurden 1991 in Berlin noch 561 Suizide gezählt, so waren es zehn Jahre später nur noch 434. Inzwischen liegen die Zahlen regelmäßig zwischen 330 und 370 Selbsttötungen pro Jahr.

Die Nachfrage bei U25 ist trotzdem so groß, dass Obermüller manchmal an andere Beratungsstellen verweisen muss. Im Schnitt betreue sie vier Klienten, erzählt Elena, rund drei Stunden die Woche verwende sie auf die Mails. Regelmäßig treffen sich die BeraterInnen zudem zur Supervision. Der Mailverkehr wird mitgelesen – für alle Fälle.

Am heutigen Donnerstag ist der Welttag der Suizidpräven­tion. Verschiedene Organisationen haben deshalb eine symbolische Aktion geplant: Stellvertretend für die rund 600 Menschen unter 25 Jahren, die sich jedes Jahr in Deutschland das Leben nehmen, sollen sich vor dem Brandenburger Tor 600 Personen um 13 Uhr fallen lassen. Passanten und Politiker sollen ihnen anschließend wieder aufhelfen. (all)

Wer bei U25 Hilfe sucht, kann völlig unerkannt bleiben. Diese Anonymität schütze beide Seiten, sagt Obermüller. „Die Jugendlichen wollen über Suizidpläne reden dürfen, ohne Angst haben zu müssen, dass wir die Eltern anrufen oder sie in die Psychiatrie einweisen lassen.“ Gleichzeitig bewahre der Mailverkehr die jungen BeraterInnen davor, sich vielleicht zu viel zuzumuten.

Perspektivlosigkeit, Leistungsdruck, Mobbing – diese Probleme tauchten in den Mails häufiger auf, berichten die BeraterInnen. Wenn der Kontakt abbricht, wissen sie nicht, ob sie einen Suizid abgewendet haben oder nicht. Es sei denn, die Betroffenen melden sich später zurück. Einmal schrieb jemand: „Ohne euch wäre ich schon tot.“ Ein Dank, wenn auch ein trauriger.

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Onlineberatung bei Suizidgedanken: Die MANO Suizidprävention bietet eine anonyme Onlineberatung an. Wenn Sie über 26 Jahre alt sind, können Sie sich auf der Webseite registrieren. Sollten Sie jünger sein, können Sie hier eine Helpmail formulieren.

Hilfsangebot für Kinder, Jugendliche und Eltern: Die Nummer gegen Kummer hat sich zum Ziel gesetzt, Kindern, Jugendlichen und Eltern zu helfen. Kinder erhalten dort Unterstützung unter der Nummer 116 111, Eltern unter 0800 111 0 550, und bei der Helpline Ukraine unter 0800 500 225 0 finden Sie auch Hilfe auf Russisch und Ukrainisch.

Hilfsangebot für Mus­li­m:in­nen: Die Ehrenamtlichen des Muslimischen Seelsorgetelefons erreichen Sie anonym und vertraulich unter 030 443 509 821.

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