Neues Buch „Die Lehren der Philosophie“: Vom Schicksal der Argumente

Der Philosoph Michael Hampe möchte sein Fach vor dem Hochschulbetrieb retten. Er plädiert für ein nichtdoktrinäres Denken.

Immer noch das Ideal des nichtdoktrinären Denkers: Sokrates. Bild: reuters

Philosophen klagen oft über die desolate Lage ihres Fachs: Institutionell steht die Universitätsdisziplin schwach da, investiert wird derzeit in andere Wissenschaften. Auch das Ansehen der akademischen Philosophie hat stark gelitten. Von den empirischen Wissenschaften werden ihre Ergebnisse entweder nicht zur Kenntnis genommen oder als irrelevant kritisiert. Außerhalb der Hochschulen liest ohnehin kaum noch jemand philosophische „Fachliteratur“.

Dass es so weit gekommen ist, hat, so der Philosoph Michael Hampe, einerseits mit dem Erfolg der experimentellen Erfahrungswissenschaften zu tun, die für sich beanspruchen, nachprüfbare Aussagen über die Wirklichkeit zu machen. Andererseits sei die Philosophie selbst daran schuld, dass sie jenseits der „Welt der Seminar- und Konferenzräume“ nicht mehr wahrgenommen wird. Sie sei ein „sekundäres Explikationsgeschäft“ geworden, dessen Welthaltigkeit gegen null strebe und Nichtwissenschaftlern wenig zu bieten habe, sofern diese sich Anregungen zum Nachdenken über ihr Leben erhoffen.

„Die Lehren der Philosophie“ heißt Hampes jüngstes Buch, in dem er, wie der Untertitel ankündigt, Kritik übt. Nicht an der Philosophie als solcher, denn sein Buch ist zugleich eine Verteidigung der „Liebe zur Weisheit“. Allerdings ist das, was Hampe erhalten helfen möchte, etwas anderes als das, was seine Kollegen mehrheitlich betreiben.

Behauptungen über die Welt

Michael Hampe: „Die Lehren der Philosophie. Eine Kritik“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014, 455 Seiten, 24,95 Euro

Hampe unterscheidet in der Philosophie zwei Strömungen: Die „doktrinären“ Philosophen, gegen die er sich wendet, stellen Behauptungen über die Welt auf und wollen andere Menschen „erziehen“, damit sie sich ihren Behauptungen als Lehre anschließen.

„Nichtdoktrinäre“ Philosophen hingegen bemühen sich, möglichst wenig zu behaupten. Sie wollen etwas über die Welt herausfinden, ohne andere davon zu überzeugen zu müssen. Zu den doktrinären Philosophen zählt Hampe etwa Descartes, Kant und Habermas, aufseiten der – von ihm bevorzugten – nichtdoktrinären Denker nennt er Montaigne, Kierkegaard oder Wittgenstein.

Nichtdoktrinäre Philosophen kennzeichne, dass sie eher Dinge beschreiben wollen, statt die Art und Weise, wie über Dinge gesprochen wird, normativ festzulegen. Philosophen seien stets „dissidente Sprecher“, die den Wortschatz der Sprache nicht als gegeben übernehmen, sondern den Begriffen eigene Bedeutungen verliehen oder gleich ganz neue Begriffe einführten.

Auf die „großen Erzählungen“ reagieren

Während die einen jedoch Sprachregulation betrieben, verfolgten nichtdoktrinäre Philosophen das Projekt, andere Menschen in die Lage zu versetzen, auf die vorherrschenden „großen Erzählungen“ und deren Weltanschauung reagieren zu können.

Die aktuell dominierende große Erzählung ist in Hampes Augen die ökonomische Spieltheorie, deren Bild vom Menschen als Marktteilnehmer alle menschlichen Bereiche betreffe. Nichtdoktrinäre Philosophie will ein Bewusstsein dafür schaffen, dass man die von einer solchen Erzählung unterstellten Allgemeinbegriffe – in diesem Fall „Marktteilnehmer“ oder „Nutzenmaximierer“ – als Beschreibungen seiner selbst zurückweisen könne. Dazu müsste man aber erst einmal ein „bewusster Sprecher“ werden.

Hampe führt als Ideal des nichtdoktrinären Philosophen gern Sokrates an, der, statt Dinge zu behaupten, lieber die Behauptungen seiner Gesprächspartner auf ihre Konsequenzen hin prüfte. Diese kritische Philosophie, als „destruktive Prüfung der Doktrinen“ verstanden, habe nichts mit dem „Bedürfnis nach einer das Leben orientierenden Philosophie“ zu schaffen. Für derlei Zwecke gibt es Ratgeber.

In diesem Sinne schreibt Hampe, der an der ETH Zürich zudem das Projekt „Philosophie als Therapie“ betreibt, über die Philosophie: „Sie ist eine Tätigkeit, die auf Desillusionierung abzielt und nicht auf die Produktion von Gewissheiten.“

Philosophie als kritische Denkpraxis

All diese Gedanken sind nicht grundstürzend neu. Doch Hampe plädiert allemal engagiert für die Philosophie als kritische Denkpraxis – und für neue institutionelle Wege: So sei es neben dem Argumentieren genauso gut möglich, vom „Schicksal der Argumente“ zu erzählen: Tierethische Argumente zum Beispiel, die von Studenten im Hörsaal akzeptiert werden, dürften bei der Metzgervereinigung andere Reaktionen hervorrufen.

Wer daher fernab der Universität ernsthaft Gehör finden wolle, müsse diese Veränderungen der Kontexte von Argumenten berücksichtigen, um zu verdeutlichen, welche Rolle argumentative Rationalität im Alltag spielt. Einfach stur auf „der Vernunft“ zu beharren, reicht manchmal eben nicht.

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