Nahost-Debatte in Großbritannien: Meuterei auf dem Labourdampfer

Auch die britische Linke streitet über den Nahost-Krieg: 58 Labour-Abgeordnete stimmen gegen einen Antrag der eigenen Partei.

Portrait von Keir Starmer

Der britische Labourchef Keir Starmer, hier beim Parteitag in Liverpool am 10. Oktober Foto: Jon Super/ap

LONDON taz | Bisher hieß es volle Kraft voraus für den britischen Labourchef Keir Starmer. Mehr als 20 Prozent Vorsprung hatte die Labour-Partei viele Monate gegenüber den Tories. Doch am Mittwochabend stand Starmer vor der bisher größten Herausforderung, seit er vor dreieinhalb Jahren bei der Partei ans Ruder kam.

Bei einem von der Schottischen Nationalpartei (SNP) gestellten Antrag, der einen Waffenstillstand zwischen Israel und Hamas forderte, und der Abstimmung dazu folgten acht Mi­nis­te­r:in­nen des Labour-Schattenkabinetts nicht dem strikten Fraktionszwang und entledigten sich so ihrer Posten.

Insgesamt 58 der 198 Labour-Abgeordneten, also etwas weniger als ein Drittel der Labourfraktion, stimmten nicht mit der eigenen Partei, sondern stattdessen für den Vorschlag der SNP. Viele der „Rebell:innen“ waren Abgeordnete vom Linksaußen-Flügel der Partei, teils ehemals dem Ex-Labourchef Jeremy Corbyn nahestehende Parlamentarier:innen, aber auch Abgeordnete, die Wahlkreise mit höherem muslimischem Bevölkerungsanteil vertreten.

Die acht inzwischen aus dem Schattenkabinett ausgetretenen Abgeordneten waren Naz Shah aus Bradford, Yasmin Quershi aus Bolton South East, Afzal Khan aus Manchester Gorton, Jess Phillips aus Birmingham Yardley, Paula Barker aus Liverpool Wavertree, Sarah Owen und Rachel Hopkins aus Luton und Andy Slaughter aus London Hammersmith. Schattenstaatssekretäre Dan Carden aus Liverpool und Mary Foy aus Durham sind auch nicht mehr im Dienst.

Starmer bedauert mangelnde Unterstützung

Trotz der Unterstützung der Labour-Abgeordneten verlor die SNP die Abstimmung für einen Waffenstillstand, 293 stimmten dagegen, nur 125 dafür.

Für Starmers eigenen Vorschlag einer humanitären Feuerpause stimmten immerhin 183 Abgeordnete, also mehr als für den Vorschlag der SNP, es gab jedoch auch 290 Gegenstimmen.

Der Labour-Vorsitzende bedauerte, dass Abgeordnete seiner Partei sich nicht hinter seinen Vorschlag stellten. Führung bedeute, das Richtige zu tun, sagte er. Er betonte, dass der Konflikt durch die Terrorangriffe der Hamas am 7. Oktober begann. Keine Regierung würde nach einem derartigen Vorfall nicht reagieren. Alle bisherigen Versuche, den Konflikt einzugrenzen oder ihm nur wenig Aufmerksamkeit zu schenken, hätten bislang versagt.

Starmer hatte in seinem Vorschlag den Wunsch nach einem Ende der Gewalt zwischen Gaza und Israel geäußert, da der Konflikt bereits zu viel Leid und zu viele tote Zivilist:innen, darunter mehrere Tausend Kinder, in Gaza gefordert hätte. Er verurteilte die terroristischen Angriffe der Hamas, forderte die Freilassung aller Geiseln und bestätigte Israels Selbstverteidigungsrecht.

Er forderte zudem den Schutz von Krankenhäusern und eine Aufhebung der Versorgungssperren. Der Vorschlag erkannte die bisherigen humanitären Feuerpausen Israels an, doch sollten diese länger dauern. So bald wie möglich müsste ein glaubhafter diplomatischer und politischer Prozess beginnen, der Frieden und die Zweistaatenlösung zum Ziel habe.

Doch offenbar ging das den 58 Labour-Abgeordneten, die für die SNP stimmten, nicht weit genug. Naz Shah, eine von ihnen, sagte in der Unterhausdebatte, es sei ein unrecht, nicht von den Terrortaten von Hamas zu sprechen, doch genauso unrecht wäre es, blind gegenüber dem Leiden unschuldiger palästinensischer Zi­vi­lis­t:in­nen zu sein, „welche stündlich ermordet werden würden.“

Jess Phillips, die eigentlich als Starmer-nah gilt, schrieb in einem Brief an den Labour-Parteichef, dass sie sich hinter ihre Wahlgemeinde stellen müsse, und glaube, dass die momentanen militärischen Aktionen den Frieden und die Sicherheit aller in der Nahost-Region weiter gefährden würden.

Druck auf Labourführung wächst

Der Druck auf die Labourführung wächst. Starmer hat sich zuletzt in einem Radiointerview vage ausgedrückt und dabei Interpretationsspielraum offen gelassen. Manche verstanden seine Aussagen so, dass er Israels Lebensmittel- und Wassersperre des Gazastreifens im Namen des Selbstverteidigungsrechts für angemessen halte. Obwohl er danach betonte, das nicht gemeint zu haben, traten zahlreiche Kom­mu­nal­ver­tre­te­r:in­nen der Partei mit der Begründung aus, die Stellung Labours zum Nahostkonflikt ließe sich nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren.

Allein in der nordenglischen Stadt Burnley traten elf Kom­mu­nal­ver­tre­te­r:in­nen zurück, in Oxford verlor Labour wegen der Rücktritte sogar seine Mehrheit. Auch der schottische Labourchef Anas Sarwar und die Bürgermeister von Manchester und London, Andy Burnham und Sadiq Khan, sprachen sich für einen Waffenstillstand entgegen der Position der Parteiführung aus.

Der britische Verteidigungsminister Grant Shapps erklärte im Unterhaus, dass die Forderung nach einem Waffenstillstand grünes Licht für die Hamas bedeuten würden, weitere Terrorangriffe zu verüben. Auch Margaret Beckett, einstige Außenministerin unter Tony Blair, gab an, dass ein Waffenstillstand nur Israel stoppen würde. Sie hielt Starmers Vorschlag einer lediglich humanitären Feuerpause für die beste Idee.

Binnen einer Woche stehen nun sowohl Labourchef Starmer als auch Premierminister Rishi Sunak vor Herausforderungen im eigenen Lager. Sunak musste sich giftige Kritik seiner ehemaligen Innenministerin Suella Braverman sowie vom rechten Flügel der Tories gefallen lassen. Es gibt bereits erste Misstrauensanträge gegen ihn.

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