Macbeth am Deutschen Theater: Die Rolle des Bösen

Tilmann Köhler zeigt am DT einen theaterblutfreien „Macbeth“. Dabei klingt auch die Frage an, ob es für Macht überhaupt eine legitime Begründung gibt.

Das Böse nimmt man ihm ab: Ulrich Matthes. Bild: dpa

Von ganz hinten kommt etwas gekrochen. Klein nur ist die Luke am Ende der in überzeichneten Fluchtlinien zusammenlaufenden Holzkiste, die der Bühnenbildner Karoly Risz für Tilmann Köhlers Inszenierung des „Macbeth“ im Deutschen Theater gebaut hat. Was sich durch diese Luke wie durch einen Geburtskanal schiebt, ist beinahe nackt, umklammert sich panisch, schnauft und fiept. Es ist ein Haufen zunächst, aus dem sich am Donnerstag bei der Premiere langsam erst Arme, Beine und Köpfe Einzelner hervorschälen. Ein Jungmännerhaufen, was die Besetzung durch Schauspieler angeht, aber unentschieden im Geschlecht, was ihre kommende Performance angeht. Wiederholt wühlen sie sich durch Kleiderhaufen, sich mal mit diesem, mal mit jenem Fetzen verwandelnd, spielen sie nicht nur Könige, Ritter und Diener, sondern auch Kammerfrauen, Ladys und Hexen.

Wie dabei aber die einzelne Rolle nicht etwa von einem allein übernommen wird, sondern die Gruppe noch immer halb zärtlich, halb pubertär die Körper aneinander reibt und einen, der nicht besonders viel Willen zu haben scheint, dabei etwa zur Königsfigur aufstellt, ihn vor dem Umfallen stützt und seine Krone mit den Fingern ihrer Hände markiert, das gehört zu den Besonderheiten von Tilmann Köhlers Inszenierung. Erstens, weil es ein lustiges Bild ist, wie der Repräsentant der Macht so hingeschoben wird in eine Rolle, deren Gesten er nur ironisch grinsend absolvieren kann. Zweitens, weil dabei etwas von dem Geist des Kollektivs sichtbar wird, für den der Regisseur Tilmann Köhler in seinen ersten Inszenierungen gelobt wurde – jetzt aber nicht mehr von jungen Schauspielabsolventen gebildet, sondern Schauspielern des Deutschen Theaters, unter anderem Matthias Neukirch und Felix Goeser. Drittens aber, weil es zum Nachdenken bringen kann, werden doch hier Rollen und Charaktere nicht wie Karten gehandhabt, die ein nicht hinterfragbares Schicksal austeilt, sondern wie eine Möglichkeit. Der Zellklumpen spaltet etwas von sich ab, und das versucht sich nun als Individuum.

So spielerisch das wirkt, kann es doch auch als Versuch gelesen werden, von der Herausbildung des autonomen Subjekts in der Zeit des elisabethanischen Theaters einmal anders zu erzählen.

Das legt ein Text nahe, den die Literaturwissenschaftlerin Elfi Bettinger für das Programmheft geschrieben hat. Sie interessiert, dass Shakespeares Dramen eine Gesellschaft im Umbruch begleiten, in der das Individuum sich erst konstituiert. „Doch das große Versprechen von Handlungsmacht hatte seinen Preis: wie Klaus Reichert festhält, wird das autonome Individuum zum Albtraum einer Gesellschaft im Umbruch. Diese hat die Verbindlichkeiten ihrer alten Ordnungen verloren und neue haben sich noch nicht herausgebildet. Mit dem Bruch von Normen und Gesetzen, dem Verbrechen also, geht der gesellschaftliche Halt verloren. Das Böse erscheint nun als Effekt von Autonomie.“

Ulrich Matthes übernimmt die Rolle des Bösen, des Macbeth, und während alle seine Gegenspieler immer wieder im Klumpen des Jungmännerfleischs verschwinden, hat er nur diese Rolle. Schon das macht seine Figur einsam. Er ist ein angsterfüllter Macbeth, der nie genießen kann, wie seine Macht wächst und sich die Prophezeiungen der Hexen erfüllen. Dass er dafür den König Duncan ermordet, seinen Freund Banquo verrät, Kinder verfolgt, intrigiert, denunziert und hinrichten lässt, das wird in dieser Inszenierung zwar erzählt, aber nicht ausagiert.

Man muss – und das ist etwas anstrengend – genau auf die Textzeilen hören, um die Handlung verfolgen zu können. Sparsam, theaterblutfrei und nur akustisch untermalt werden die Exzesse der Gewalt angedeutet. Köhler verzichtet auf die naheliegende Action und das Thriller-Moment in Macbeth.

Seine Inszenierung liest das Verhalten von Macbeth und seiner Frau auch nicht als Wahnsinn, noch ein weiterer Verzicht auf ein Stereotyp, für das das Theater oft dankbar ist. Er macht es damit sich und den Schauspielern Ulrich Matthes und Maren Eggert als Lady Macbeth nicht leicht. Auf nichts können sich ihre Figuren stützen, nicht auf Moral, nicht auf Ratio, einzig auf durch die Luft rauschende Worte wieder verschwindender Erscheinungen. Man könnte darin die Artikulation des Zweifels sehen, ob es denn für die Macht überhaupt eine legitime Begründung gibt – auch das ist eine mögliche Lesart von Shakespeares Tragödie.

Wenig in dieser Inszenierung ist zwingend, so leicht sie daherkommt, so leicht entzieht sie sich auch. Das Spiel ist eingekastelt in der Holzkonstruktion, manchmal tauchen die Figuren wie ein Kaspar aus einer Klappe auf. Aber wenn die ganze Bretterbude wieder geschlossen ist, hat man doch genug Stoff für ein Nachschmecken, Nachdenken, Nachlesen erhalten.

■ Wieder am 25./28. März und 7./16./24. April
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