Long-Covid-Erkrankte in Niedersachsen: Unterstützung per Hotline

Niedersachsen versucht, Long-Covid- und Impfgeschädigte über eine neue Hotline an die richtigen Stellen im Gesundheitssystem zu lotsen.

Der MHH-Mediziner Nils Schneider, Gesundheitsminister Andreas Philippi und AOK-Vorstand Jürgen Peter bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Long-Covid-Hotline

Hilfe in Sicht: Gesundheitsminister Philippi (m), MHH-Direktor Schneider (l) und AOK-Chef Peter (r) stellen die Hotline vor Foto: Michael Matthey/dpa

HANNOVER taz | Ein neues Informations- und Beratungsangebot für Betroffene von Long- oder Post-Covid hat der niedersächsische Gesundheitsminister Andreas Philippi etwas vollmundig angekündigt. Im Kern handelt es sich um eine Hotline, die seit dem 1. August unter der Telefonnummer 0511/1202900 erreichbar ist, erst einmal aber nur montags bis freitags von 10 bis 14 Uhr.

Sie soll Erkrankten, ihren Angehörigen, aber auch ArbeitgeberInnen Unterstützung vermitteln. Der Bedarf ist offensichtlich, wenn auch nicht so ganz leicht zu beziffern. Auf fünf bis zehn Prozent aller Corona-Infizierten schätzen die Experten aktuell die Zahl der Menschen, die noch Wochen nach ihrer Infektion unter Langzeitfolgen leiden.

Dazu gehören zum Beispiel anhaltende Konzentrationsstörungen, Erschöpfung bis zur Fatigue, Gelenk- und Muskelschmerzen, Herz- und Atemprobleme. Bei 3,9 Millionen Infektionen in Niedersachsen wären das zwischen 200.000 und 400.000 Menschen, von denen allerdings ein guter Teil in der Zwischenzeit auch wieder genesen sein dürfte, weil die Symptome mit der Zeit abklingen.

Von Long Covid spricht man dabei ab vier Wochen nach der Covid-19-Erkrankung, vom Post-Covid-Syndrom wenn die Symp­tome auch nach mehr als drei Monaten noch andauern. Das Angebot richtet sich auch an Betroffene, die nach einer Impfung ähnliche Symptome entwickeln, das sogenannte Post-Vac-Syndrom. Hiervon gibt es in Niedersachsen aktuell rund 400 Verdachtsfälle.

Behandelt werden können nur die Symptome, die individuell höchst unterschiedlich sind

Der Leidensdruck ist auch deshalb so groß, weil das Krankheitsbild so komplex und noch nicht in Gänze verstanden ist, sagt Nils Schneider, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Es werde in absehbarer Zeit keine kausale Therapie, kein einzelnes Wundermittel, geben. Behandelt werden können nur die Symptome, die allerdings individuell höchst unterschiedlich ausgeprägt sind.

Zahlreiche Leidensgeschichten in den sozialen und alten Medien haben das zur Genüge erzählt: Die Verunsicherung, die gerade dieses Herantasten mit sich bringt, die ständigen Versuch-und-Irrtum-Behandlungen, die Ungewissheit, ob man überhaupt je sein altes Leben, seine alte Leistungsfähigkeit wiederbekommt. Und natürlich mangelt es in einer solchen Situa­tion auch nie an Angeboten für dubiose Heilbehandlungen und vermeintliche Wundermittel.

Die Hotline soll auch hier helfen. Es ist viel von „ernst nehmen“ und „zuhören“ die Rede; aufklären und die richtigen Anlaufstellen zeigen sollen die 16 Telefonberater auch. Viel mehr können sie allerdings auch nicht: Es sind keine Ärzte, die dort sitzen, sondern Psychologen, Pädagogen und Sozialarbeiter der AOK, die schon bei der Covid-Hotline Erfahrungen gesammelt haben. Der Service steht aber allen offen.

Die Telefonberater werden von einem Expertenteam der MHH geschult, können aber keine ärztliche Beratung und schon gar keine Diagnostik leisten. Und nicht einmal Termine vermitteln – dafür bleibt die Kassenärztliche Vereinigung zuständig, während man sich in Krankengeld-, Reha- und Rentenfragen weiterhin mit den zuständigen Sozialversicherungsträgern auseinandersetzen muss.

Die drei Herren von Gesundheitsministerium, AOK und Hochschule beschwören bei der Vorstellung des Angebotes trotzdem den hohen Nutzwert. Es gehe ja auch darum, die Betroffenen an die richtigen Stellen im Gesundheitssystem zu lotsen. Der Hausarzt oder die Hausärztin sollen dabei die zentrale Rolle spielen. Sie sollen die Fäden, in der Hand behalten, an Fachärzte und Spezialambulanzen weiter verweisen.

2021 dauerten die Erkrankungen noch viel länger

„Das ist eine Herausforderung, weil man diese Patienten sehr intensiv und sehr lange betreuen muss“, sagt Schneider von der MHH. „Man muss eben auch die komplexen Wechselwirkungen zwischen den körperlichen, psychischen und sozialen Aspekten berücksichtigen – da waren wir anfangs nicht immer gut drin.“ Bei schweren Fällen müssten oft auch Angehörige mitbehandelt werden, denen sonst die Überlastung droht.

Die MHH wird ab September eine „virtuelle Reha-Klinik“ starten, ein telemedizinisches Angebot für Hausärzte und ihre Patienten. Die können dort Beratungstermine bei den MHH-Spezialisten buchen. So soll deren Wissen und Kompetenz in die weite niedersächsische Fläche getragen werden.

Jürgen Peter, Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen, hat außerdem noch ein paar Zahlen zusammengetragen, die wohl Mut machen sollen. Eine Analyse der Krankschreibungsdaten der AOK-Versicherten ergibt, dass von den 13.500 krankengeldberechtigten Mitgliedern, die mit der Diagnose Long Covid krankgeschrieben wurden, 95 Prozent mittlerweile wieder arbeitsfähig sind.

Auch die Länge der Krankschreibungen hat sich dramatisch reduziert: Als man 2021 anfing diese Diagnose zu vergeben und die Daten zu erfassen, lag der Mittelwert noch bei 57 Tagen. Mit den Impfungen und dem Auftauchen der „milderen“ Omikron-Variante sank er auf 18 Tage in 2022 und 15 Tage in 2023.

Für die rund 700 schwer Betroffenen unter den AOK-Versicherten mag das kein wirklicher Trost sein, aber immerhin sei es auch gelungen, sehr viel mehr Betroffene in Reha-Maßnahmen unterzubringen, betont Peter.

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