Leitlinie zu Bildschirmzeit von Kindern: Lasst den Eltern doch die Displays

„Gestresste Eltern“ sollen schuld sein an der zu hohen Bildschirmzeit von Kindern. Doch Druck auf die Eltern hilft nicht – sie brauchen Unterstützung.

Kinderhände an einem Smartphone

„Nur noch eine Folge!“ Foto: Panthermedia/imago

Gerade ist eine neue Leitlinie der üblichen Fachverbände zu Bildschirmzeiten von Kindern erschienen. In der medialen Debatte, die dazu nun wieder geführt wird, schauen Kinder aber nicht einfach nur fern, sondern sie werden von „gestressten Eltern“ vor Bildschirmen „geparkt“. Da schwingt schon alles mit: lieblos abgestellt wie ein Ding, dessen man überdrüssig ist. Man hätte einfach gar keine Kinder bekommen sollen, wenn man dann keine Zeit mit ihnen verbringen will, heißt es jetzt wieder in den Kommentarspalten.

Als müsste man, um ein gutes Elternteil zu sein, die Kinder von morgens bis abends mit ungeteilter Aufmerksamkeit erdrücken. Gerne wird in der Diskussion dann auch Steve Jobs zitiert, der mal in einem Interview gesagt hat, dass seine Kinder iPads nicht nutzen dürfen. Nur sind Milliardäre, die oft Nannys, Kö­ch*in­nen und As­sis­ten­t*in­nen beschäftigen, kein Maßstab für einen Großteil der Durchschnittseltern. Und genau das ist mein Hauptproblem mit der Debatte: Sie hat in großen Teilen wenig mit der Realität der meisten Familien zu tun.

Im Interview zur Leitlinie selbst fasst Gesine Hansen, die Kongresspräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, die Empfehlungen so zusammen: „Kinder unter drei sollten gar keine Zeit vor Bildschirmen verbringen. Drei- bis Sechsjährige maximal 30 Minuten und Sechs- bis Neunjährige höchstens 45 Minuten, jeweils pro Tag.“

Keine politischen Konsequenzen

Kinder unter drei Jahren ganz von Bildschirmen fernzuhalten, ist vielleicht möglich, wenn es keine älteren Geschwister gibt. Es ist auch sicher wichtig, die Bildschirmzeit insgesamt zu begrenzen, auf altersgerechte Inhalte und Abwechslung im Alltag zu achten. Kinder sollten Freunde treffen, Bewegung und Hobbys haben. In unserem Interview legte der Medienpsychologen Malte Elson 2021 aber auch den Schluss nahe, dass ein vierjähriges Kind nicht ab Minute 31 vor einem Bildschirm Schaden davonträgt. So würde das Gehirn nicht funktionieren.

Die Debatte hat wenig mit der Realität der meisten Familien zu tun

Was mich an diesen Richtlinien vor allem ärgert, ist, dass sie ohne politische Konsequenzen daherkommen. Denn was bringt es Alleinerziehenden, Eltern, die mehrere Jobs haben oder Eltern, die anders allein gelassen werden, wenn sie zu ihren Problemen noch ein schlechtes Gewissen bekommen? Gar nichts.

Wieso fragt man nicht die Eltern, wieso die Bildschirme länger laufen? Haushalte, in denen Sucht, Gewalt, Krankheit oder Vernachlässigung eine Rolle spielen, kann man ausnehmen, die brauchen andere Hilfe als eine Leitlinie der Fachverbände. Aus den übrigen Haushalten würden die Antworten vermutlich lauten: Weil ich das Essen zubereite. Weil ich den Haushalt mache. Weil ich schlafen muss. Weil ich krank bin. Weil ich eine Pause brauche.

Eltern unter Druck zu setzen, um etwas zu ändern, das sie aus eigener Kraft nicht ändern können, ist sinnlos. Es ist auch recht offensichtlich, dass Ratschläge, wie, diese Kinder sollten besser Geige spielen oder ins Museum gehen, hier ins Leere laufen.

Anstatt also nur realitätsferne Empfehlungen auszusprechen, könnte man die revolutionäre Frage stellen, was diese Eltern bräuchten, um die Bildschirmzeit der Kinder auf die empfohlene Zeit zu reduzieren? Ein paar Gutscheine für Essenslieferungen für Alleinerziehende könnten da unter Umständen schon Wunder wirken. Sofern es einem wirklich ernst ist damit.

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Schreibt über Gesellschaft, Politik, Medien und manchmal über Österreich. Kolumne "Kinderspiel". War 2013 Volontärin der taz panter-Stiftung, dann taz-Redakteurin. Von 2019 bis 2022 Ressortleiterin des Gesellschafts- und Medienressorts taz zwei. Lebt und arbeitet in Wien.

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