Kolumne Eben: Vom Barometer geschubst
Die Stimmung ist eine Borderlinerin und kippt gerne um. Wäre sie nicht so profitabel, wäre sie längst im Heim für Schwererziehbare.
B is kurz vor Ende letzter Woche hatte sich die Stimmung halbwegs unter Kontrolle. Sie war etwas ermüdet von ihrer sommerlichen Ausgelassenheit und hätte mal ein bisschen ausspannen sollen. Aber die Stimmung wäre nicht die Stimmung, wenn sie einfach mal cool an der Bar rumstehen und einen Afterwork-Drink nehmen würde.
Nein, mit der Stimmung ist nicht gut Kirschenessen. Entweder ist sie euphorisch, aufgeheizt oder am Nullpunkt. Gerne kippt sie oder schwingt um. Manche verbinden mit ihr Kerzenschein und romantisches Dinner. Manche eine Bombe. Aber in diesen Rollen fühlt sie sich selten wohl. Wenn sie mal ein kurzes Hoch hat, geht sie schnell zurück in den Keller, wo sie sich am liebsten aufhält. Sie ist ein empfindlicher Charakter, labil, betreuungsintensiv und ein besonders schwerer Fall eines Borderline-Patienten.
Wäre sie nicht so einflussreich und profitabel, man hätte sie längst in ein Heim für schwer erziehbare Kinder gesteckt. Am besten sollte man sie sowieso alleine lassen, wenn sie einen Lauf hat. Stattdessen wehrt sie sich nicht dagegen, ständig nach ihrem Befinden gefragt zu werden, lässt sich von Günther ob-der-Staat- das-noch-wuppen-kann Jauch als Zaungast aufs Sofa setzen und von Barometern und Umfragen durch die Gegend schubsen.
So wie bei den meisten tut auch der Stimmung so viel Aufmerksamkeit nicht gut. Sie nimmt sich selbst wichtig und anderen übel. Kaum lässt man sie mal eine Zeit unbeaufsichtigt, wird sie bockig und geht wieder in schwarz. Man redet dann von ihr als gedrückt.
Alle waren heilfroh, dass sie diesen Sommer endlich mal in kein Loch gefallen war. Ihre Verfassung wurde von allen Experten als jahrhunderthoch beschrieben. Und das, obwohl an Europas Grenzen geschossen und geschubst worden war.
Nun aber, heißt es, steht die gute Stimmung selbst vor einer Grenze, die sie nicht dahin gehen lassen will, wo sie vielleicht doch mal gern länger geblieben wäre, weil man sich dort ganz gut um sie gekümmert hat.
„Man muss sich vor allem darum kümmern, dass die deutsche Gesellschaft nicht vernachlässigt wird. Am Ende entscheidet ja nicht die Verfassung oder wir Politiker über die Höhe der Aufnahme [der Flüchtlinge], sondern die Bürger hier im Land“, sagte Sigmar Gabriel, nachdem bekannt wurde, dass sich die Stimmung wieder verschnupft hat.
Wo und wann der Vizebundeskanzler dieses Ende sieht, hat er nicht gesagt. Ist das Ende dann erreicht, wenn genügend Wohnungen abgefackelt werden, in denen Flüchtlinge leben, leben sollen oder in denen ihnen geholfen wird? Oder ist es erreicht, wenn genügend Leute vorm Brandenburger Tor gegen den Untergang des Abendlandes demonstrieren?
Bislang war der Vizekanzler noch nicht als Fan der direkten Demokratie bekannt. Nie hat man ihn sagen hören, dass am Ende der Bürger entscheidet, wie hoch der Hartz-4-Satz, der Mindestlohn, der höchste Steuersatz ist oder dass am Ende der Bürger entscheidet, wie viel Millionen die öffentlich-rechtlichen für die Bundesligarechte zahlt.
Warum auch, dann könnte er die Stimmung vielleicht mal nicht auf seine Seite ziehen.
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