Iranische Underground-Musik: Singen in finsteren Zeiten

Das Festival „Tehran Contemporary Sound“ im Bethanien war geprägt vom Kriegsgetöse in Nahost. So fielen vielen Konzerte nachdenklicher aus.

Aftab Darvishi vor einer Wand

Die Musik der Komponistin Aftab Darvishi wurde am Eröffnungsabend aufgeführt Foto: Mana Jahangard

„Ich bin die freie Frau und mein Spiegelbild in den Menschen: Schönheit, Eleganz, Anmut und Respekt. Mit Glauben und Zuversicht werde ich meine Geschichte erzählen“, sagt die Teheraner Theaterleiterin Poupak Azimpour. Genau das tut die Teheraner Dichterin Ghazal Mahdavi in einem Satz: „Ich lebte hinter dieser Wand, damit deine Hände zum Leben erwachen konnten.“ Dabei sagen die beiden Künstlerinnen das nur zu sich selbst, ihre Worte haben sie auf Stoffbahnen geschrieben, die durch einen Schwarz-Weiß-Kurzfilm der Komponistin Aftab Darvishi wehen. In den Film montiert sind weitere Sequenzen der Fotografin Tahmineh Monzavi, sie zeigen Aftab Darvishi tanzend in einem Ruinenensemble bei Teheran. Die von einem Streichquartett aufgeführte elegisch-minimalistische Musik der Komponistin Darvishi kontrastiert mit den Bewegungen der Tänzerin Darvishi.

Damit begann am vergangenen Freitag die diesjährige Ausgabe des in der taz bereits mehrfach, zuletzt im Mai dieses Jahres vorgestellten Festivals „Tehran Contemporary Sounds“, das mit zwei Veröffentlichungen gleichzeitig als Label und als Netzwerk der iranischen Diaspora fungiert. Einiges war vertraut, zuerst die gewohnte, fast schon sakrale Atmosphäre in dem zur Mitte des 19. Jahrhunderts als preußische „Central-Diakonissenanstalt und Krankenhaus Bethanien“ errichteten Kunstquartier Bethanien. Dann war da wie in vorigen Festivalausgaben das visuelle Element, das Spiel mit verschiedenfarbigem Licht und verschieden dunklen Schatten präsent.

Aber, es war einiges auch anders in diesem Jahr. Die „Tehran Contemporary Sounds“ haben sich in ihren vergangenen Ausgaben den Ruf erspielt, ein geräuschhaltiges und experimentierfreudiges Festival zu sein. Erinnert sei an den Auftritt des Industrial-Elektronikers Sote im Herbst 2022. Im Gegensatz dazu geriet der diesjährige Eröffnungsabend mit Aftab Darvishi und viele der folgenden Auftritte nachdenklich und still. Der eskalierende Krieg im Nahen Osten hat auch das Festival erreicht. Aftab Darvishi wies in einer kurzen Vorabrede darauf hin, dass die Musikerinnen der Barenboim-Said-Akademie, die ihre Musik aufführten, aus Bulgarien, Israel und Palästina kommen. Es war das erste Mal überhaupt, dass das „Tehran Contemporary Sounds“-Festival mit einer Eingangsrede begonnen hat.

Leise Übergänge

Darvishis Komposition „Daughters of Soul“, die Musik zu den Worten der Frauen auf Stoff und zu dem Tanz in der Geisterstadt bei Teheran, ist von einem Poem des zeitgenössischen iranischen Dichters Ahmad Shamloo inspiriert, einem Text leiser Übergänge und detaillierter Verwandlungen, wie Darvishi der taz erläutert. „Daughters of Soul“ ist in Zusammenarbeit mit dem renommierten Kronos Quartet entstanden. „A Thousand Butterflies“, das Albumdebüt Aftab Darvishis, wurde vergangenes Jahr auch von dem Hamburger Label 30M Records veröffentlicht, das seit 2020 aktuelle Musik aus dem Iran verlegt und das ebenfalls bereits in der taz porträtiert worden ist.

„A Thousand Butterflies“ enthält fünf ausgedehnte Kompositionen Darvishis: Sie reichen von einem Solo-Stück für Cello, in Teheran eingespielt von Mahyar Tahmasbi – auch er trat am Freitag beim Festival im Bethanien auf – bis zu einem in einer Kirche aufgenommenen Stück zusammen mit dem Stockholm Saxophone Quartet.

Etwas später kam dann Saba Alizadeh, Labelkollege Darvishis und Komponist, der sowohl elektronisches Instrumentarium als auch die iranische Stachelgeige Kamancheh spielt und aus dieser Kombination ein überzeugendes Amalgam aus Moderne und Tradition zauberte. Alizadeh hat in Deutschland zwei Alben veröffentlicht: „Scattered Memories“ auf Karlrecords und „I May Never See You Again“ (30M). Auf diesem Album ist übrigens in zwei schönen Beispielen gegenseitiger kultureller Wertschätzung Andreas Spechtl von der Berliner Band Ja, Panik als Gast zu hören.

Alizadehs jüngste Veröffentlichung ist die Single „Nafir“ über den iranischen Aufstand, inspiriert von den Zeilen Bertolt Brechts: „In den finsteren Zeiten / Wird da auch gesungen werden? / Da wird auch gesungen werden. / Von den finsteren Zeiten.“ Diese hat der Regisseur Michael Benson an den Anfang seines Dokumentarfilms „Predictions Of Fire“ über das Künstlerkollektiv Neue Slowenische Kunst gestellt, dessen musikalischer Arm Laibach morgen mit der Persien-Saga „Alamut“ in Frankfurt am Main auftritt. Begleitet von einem großem Orchester, geleitet vom iranischen Dirigenten Navid Gohari.

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