Gesetz für Kinderschutz auf Social Media: Wenn öffentlicher Raum zersplittert

Der „Kids Online Safety Act“ (Kosa) soll Social-Media-Plattformen zu Maßnahmen zum Schutz Minderjähriger zwingen. Wie effektiv ist das?

Installation zeigt Mark Zuckerberg von Facebook und Shou Zi Chew von Tictoc, wie sich sich mit einem Glas Sekt zuprosten und auf einem Haufen Dollar sitzen

Eine Installation, die gegen Mark Zuckerberg, CEO von Meta, und Shou Zi Chew, CEO von TikTok protestiert, vor dem US-Kapitol in Washington Foto: Nathan Howard/reuters

Selbst für Kenner der Showqualitäten des amerikanischen Politikbetriebs war es ein außergewöhnlicher Moment, als Marc Zuckerberg in einem Hearing des Senats-Justizkomitees von Senator Josh Hawley aus Missouri aufgefordert wurde, sich bei den Eltern im Saal zu entschuldigen, deren Kinder infolge intensiver „Social Media“-Nutzung schwere gesundheitliche Schäden erlitten hatten oder gar gestorben waren. Der Multimilliardär stand auf, drehte sich um und sagte etwas ungelenk, dass es ihm leid täte und Meta Milliarden investiere, um derlei zu verhindern.

Aus dem Hearing, zu dem auch die Chefs von X, Tiktok, Snapchat und Discord geladen waren, wuchs der Entwurf eines „Kids Online Safety Act“ (Kosa), der die Plattformen zwingen soll, „vernünftige Maßnahmen“ zu ergreifen, um Mobbing, sexuelle Ausbeutung, Anorexie, Selbstbeschädigung und aggressives Marketing bei Minderjährigen zu unterbinden.

Washingtonkenner sind nicht allzu optimistisch: Die geballte Lobbymacht der Plattformen und die Bedenken von Datenschützern werden diesen Vorstoß auf das marktkonforme „vernünftige“ Maß schrumpfen. Auch von den Staatsanwälten, die in 33 Bundesstaaten gegen Tiktok und Co geklagt haben, weil sie Gesundheitsschäden bei Jugendlichen befördern, hat man ja lange nichts mehr gelesen. Derweil baut Zuckerberg auf einer Hawaii-Insel ein bewehrtes Anwesen mit atombombensicherem Bunker aus.

In Europa gilt seit 2022 der Digital Services Act mit Kosa-ähnlichen Schutzklauseln und Strafandrohnungen gegen die Plattformbetreiber. Aber aufs Ganze gesehen scheint die Politik im liberaldemokratischen Westen wehrlos gegen die wachsende Macht der neuen Herren der Welt. Bis jetzt jedenfalls schmerzt der moralisch begründete Entzug der Internetlizenzen für Tiktok oder X von Stars wie Taylor Swift, Drake oder Helene Fischer stärker als die zahmen und unterausgestatteten Kontrollbemühungen der Regierungen: Hassvideos in der Nähe von sauberen Geschäften schmälern schließlich auch den Gewinn.

Ohnmacht?

Mit ihrer Untätigkeit (ist es wirklich Ohnmacht?) untergraben die Regierungen den Boden der Demokratie und damit ihre eigene Macht. Denn selbst wenn es gelänge, mit Gesetzen wie dem Digital Services Act die perversesten Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche zu begrenzen, und selbst wenn man mal annimmt, die Strafe wegen Unterlassung wäre so massiv, dass sie an die Substanz der Konzerne ginge – es änderte nichts an den ganz normalen Zerstörungen durch „cleane“ Plattformen. An der Schädigung der intellektuellen und emotionellen Entwicklung, der Konzentrationsfähigkeit und des Realitätssinns von Heranwachsenden und der zunehmenden Verwischung von Fake und Fakten, von Fantasie und Phänomenen, von Wahn und Wirklichkeit.

Wer in den letzten Tagen auf Tiktok „unterwegs war“, wie es so bieder heißt, der konnte das kalte Gruseln kriegen: Selbst die Demonstrationen von Hunderttausenden wurden mit der zigtausendfach geklickten Wiederholung umgefälscht, hier habe eine Regierung mit „staatskonformen Medienhäusern eine zweite Stasi aufgebaut“ und Regierungsmärsche gegen die Opposition initiiert, was an „dunkelste Zeiten“ erinnere. Wenn man eine dieser Ungeheuerlichkeiten länger als ein paar Sekunden angesehen hatte, kamen im ­Thread zunehmend staatsfeindliche Beleidigungen und rechtsradikaler Dreck, hochgetuned durch KI. Der Algorithmus funktioniert nach der Suchtlogik, jeder kriegt, was er glaubt und braucht.

Ich empfinde es als fahrlässige Unterlassung, diese Plattformen lange nicht beachtet, weil verachtet zu haben. „Die geschichtliche Erfahrung besagt: das Nachdenken beginnt immer erst, wenn etwas verloren ging. Geht aber die Öffentlichkeit verloren, so geht die Formenwelt für das Nachdenken ebenfalls verloren.“ So Alexander Kluge vor 38 Jahren in einem Aufsatz mit dem Titel „Die Macht der Bewusstseinsindustrie und das Schicksal unserer Öffentlichkeit“. Öffentlichkeit sei das „Gefäß der Demokratie“, schrieb Kluge zur Zeit des Urknalls der Privatisierung von Funk und TV.

Sparpläne

Heute, angesichts der fortschreitenden Verlagerung von Informationen und „Kultur“ auf die Plattformen, ist es mehr als fahrlässig, wenn etwa, von den Attacken der AfD auf das „Gebührenfernsehen“ getrieben, auch die CDU in ihren „Medienpapieren“ populistische Sparpläne lanciert; wenn die Experten der „Zukunftskommission“ zunächst ans Sparen denken, wo die Verlagerung der Angebote ins Digitale die Zersplitterung des öffentlichen Raums noch einmal mehr beschleunigt, und deshalb, im Gegenteil, ein Ausbau der nicht kommerziellen, den Werten des Journalismus, der Aufklärung und der Demokratisierung verpflichteten Medien dringend Not täte – also auch ihrer Finanzierung. Denn „Produkte kann man nur mit Produkten bekämpfen“ (Kluge).

Ebenso geboten wie die Verankerung der Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts im Grundgesetz wäre es also, das öffentlich-rechtliche Mediensystem gegen seine Beschädigung durch rechte Regierungen zu schützen. Noch einmal Alexander Kluge: „Wer die klassischen Öffentlichkeiten zerstört, ist ein Geschichtsverbrecher.“

Seit Jahren warte ich auch auf eine kräftige Rede im Bundestag, die den Kritikern der Rundfunkgebühren vorrechnet, wie viel „Gebühren“ sie über ihre täglichen Einkäufe allein an das vermeintliche Umsonstfernsehen zahlen: ein Vielfaches dessen, womit der GEZ-Beitrag sie belastet, ganz zu schweigen von den Werbeeinnahmen der Internet-Plattformen, die bereits jetzt mit denen der analogen Medien gleichgezogen sind, Tendenz steigend (vgl. dazu erschreckend: Martin Andree, „Big Tech muss weg!“, Campus Verlag 2023).

Bei all dem ist Tempo geboten. Bereits jetzt sind 21 Prozent der Deutschen auf Tiktok, rund 90 Minuten pro Tag: Unter den Wählern von morgen dürften es viel mehr sein.

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