Geringe Beteiligung bei Sozialprotesten: Lauwarmer Herbst

Die Preise steigen, doch die Straßen bleiben leer. Verwunderlich, da vor allem Großkonzerne von den gestiegenen Preisen profitieren.

Eine Frau hält einen Strauß mit roten Luftballons in die Höhe

Leider nicht soviele Teil­neh­me­r:in­nen wie erwartet: Der „Herbst der Solidarität“ in Berlin Foto: dpa

Warum fühlt sich der viel beschworene „heiße Herbst“ der sozialen Bewegungen bis jetzt so lauwarm an? Obwohl die steigenden Mieten, Lebensmittel- und Energiepreise mittlerweile auch mittlere Einkommen in Existenzsorgen stürzt, lässt der öffentliche Aufschrei bislang auf sich warten. Die Teilnehmerzahlen auf den Demos und Kundgebungen in Berlin bislang war durchweg enttäuschend. Die Gewerkschaftsdemo des „Solidarischen Herbstes“ brachte nicht einmal 5.000 der 20.000 angekündigten Teil­neh­me­r:in­nen auf die Straße.

Bislang konnte nur die AfD die Krise nutzen, um eine ernstzunehmende Masse an Leuten zu mobilisieren. Doch selbst die rechten Montagsdemos, die sich nur auf den Osten beschränken, verlieren mittlerweile wieder an Dynamik. Inhaltlich thematisierte die AfD sowieso weniger die soziale Frage, als Rassismus und putinfreundliche Verschwörungstheorien.

Über die Gründe der linken Lethargie lässt sich stundenlang spekulieren. Eine Ursache unter vielen ist sicherlich, dass die Inflation, ähnlich wie Corona, als eine von außen kommende Krise wahrgenommen wird, die man einfach aussitzen kann. Strom, Gas und Weizen werden teuer, weil durch Putins Krieg eine Knappheit entstanden ist, so die gängige Erzählung.

Dabei werden die enormen Preissteigerungen nicht durch Knappheit verursacht, sondern vor allem durch Spekulation an den Märkten. Bereits die Aussicht darauf, dass die Rohstoffe in der Zukunft nicht ausreichen können, treibt die Preise auf den deregulierten Rohstoffmärkten in die Höhe. Neben Spekulanten profitieren von diesem Finanzkarussel multinationale Energiekonzerne, die seit Beginn der Krise Milliardengewinne kassieren.

Der Aufschrei wäre sicherlich größer, wenn mehr Leuten bewusst wäre, dass die drei Euro mehr, die ich jetzt für den Döner zahlen muss, nach ein paar Umwegen Teil einer fetten Dividende ist, die dann wiederum in Immobilien reinvestiert wird und somit wiederum die Mieten erhöht.

Welch absurde Blüten dieser spekulative Finanzkapitalismus treibt, lässt sich schon seit Langem in Berlin beobachten. Komplett funktionale Wohn- und Bürogebäude werden abgerissen, weil Neubau noch etwas mehr Profit verspricht. Zerstört wird dabei günstiger Wohnraum und Gewerbefläche, geschaffen meist hochpreisige Luxuswohnungen, die in der Regel nicht als Wohnraum, sondern als Geldanlage dienen. Der Neubau ist nicht nur sinnlos, sondern verbraucht enorme Mengen an Ressourcen, bei deren Abbau tonnenweise CO2 freigesetzt wird. Derzeit gibt es kaum begrenzte rechtliche Mittel in Berlin, um diesem Spekulationstreiben Einhalt zu gebieten.

Bei der Podiumsdiskussion „Leerstand – Verfall – Abriss – Neubau – Profit: Was setzen wir dem entgegen?!“ sollen verschiedene Perspektiven auf das Thema diskutiert werden. Eingeladen ist der Aktivist Tadzio Müller, die Präsidentin der Architektenkammer Theresa Keilhacker, Stadtsoziologe Andrej Holm, sowie Khai Phung von dem Verein Watch Indonesia e.V., der über die dramatischen Folgen des Sandabbaus in Indonesien berichten wird (Mittwoch, 2. November, 19 Uhr, Kiezraum auf dem Dragoner Areal, Mehringdamm 20).

Eine radikalere Deutung der sozialen Krisen will auch die Initiative „der Preis ist heiß“, die seit letzten Freitag nun wöchentlich demonstrieren will. Neben einer grundlegenden Ablehnung des kapitalistischen Systems, bieten die Ak­ti­vis­t:in­nen ganz praktische Lösungsansätze: „Lasst uns solidarisch sein mit jeder Person die gegen diese weitere Krise ankämpft. Ob durch Ladendiebstahl, Schwarzfahren, dem Aufbau rebellischer Nachbarschaften mit solidarischen Netzwerken oder indem auf die Straße gegangen wird“, heißt es in den Aufruf (Freitag, 4. November, 18 Uhr, Hermannplatz).

Wie sich vielleicht doch noch die Massen auf die Straße bringen lassen soll am kommenden Dienstag im Baiz diskutiert werden. Sind Protestbündnisse wie „Heizung, Brot und Frieden“ zu offen für Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ke­r:in­nen oder wird szenetypisch zu viel Spalterei betrieben? (Dienstag, 8. November, 19 Uhr, Schönhauser Allee 26 A)

So oder so heißt es dran bleiben und sich nicht entmutigen lassen. Den nächsten Versuch für eine ernstzunehmende linke Demo gibt es am 12. November. „Umverteilen“ heißt ein breites Bündnis aus Zivilgesellschaft und aktivistischen Initiativen (Montag, 12 November, 13 Uhr, Alexanderplatz).

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Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.

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