Functional Food oder Genuss: Warum essen wir noch?

Morgens, mittags, abends ein Glas Nährstoffe – mit allem, was der Mensch wirklich braucht. In Kalifornien designt jemand diese Zukunft.

Was kommt heute auf den Teller? Bild: dpa

Das Essen der Zukunft kennt nur einen Aggregatzustand: flüssig. Nichts wird mehr kross, nichts cremig sein. Der Mensch nimmt nur noch eine braune Brühe zu sich, die aus der Leitung kommt. In der Küche wird es zwei Hähne geben: einen zusätzlichen für Soylent, den Drink aus Wasser, Öl und gut 40 Nährstoffen. Wer sich morgens, mittags und abends ein Glas zapft, der ist rundum versorgt, spart Zeit und Geld. In 20 Jahren könnte die Ernährungsrevolution vollzogen sein.

Eine irre Vision?

Rob Rhinehart arbeitet daran. Er hat sich den Drink namens Soylent ausgedacht. Als er auf die Idee mit der Brühe kam, war der 25-Jährige gerade als Softwareentwickler bei einem im kalifornischen Silicon Valley ansässigen Start-up-Unternehmen angestellt. Gedanken an Fortschritt und Optimierung, basale Bestandteile der „kalifornischen Ideologie“ waren ihm also vertraut. Fürs Kochen und Einkaufen unter der Woche fehlte ihm schlicht die Zeit.

Soylent neu besetzen?

So machte sich Rhinehart auf die Suche nach dem Gericht mit dem bestmöglichen Preis-Leistungs-Verhältnis. Seine Berechnungen führten ihn zunächst zu einer Pizzakette. Doch die Pizzen hingen ihm schnell zum Hals raus. Also entwickelte er Soylent. Geldgeber fand er schnell. Ab März wird das Pulver zum Anrühren in den Vereinigten Staaten vertrieben. Im Sommer soll es dann nach Europa kommen.

Als ein Chemiker 1958 die Diätmargarine erfindet, will er das Essen gesünder machen. Als ein Softwareentwickler 2013 aufhört zu essen, will er sich optimal ernähren. Wie das geht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 25./26. Januar 2014 . Außerdem: Ein Jahr nach dem #aufschrei haben wir die Protagonistinnen der Debatte wieder an einen Tisch gebeten. Ein Streitgespräch. Und: Die Jungen von Davos. Das Weltwirtschaftsforum ist nicht nur der Treffpunkt grauhaariger, alter Manager. Es nehmen immer mehr teil, die eine bessere Welt wollen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Das genussvolle Essen wäre dann ein Luxus, den Rhinehart vor allem am Wochenende verortet. Da gönnt man sich dann mal die Zeit fürs ausgiebige Menü – vielleicht auch im Restaurant.

Das alles klingt sehr nach Science Fiction. Und den Namen hat Rhinehart tatsächlich aus dem Film Soylent Green entliehen, der 1973 in die amerikanischen Kinos kam.

Die Handlung ist in einem dystopischen New York des Jahres 2022 verortet. Die überbevölkerte und verarmte Stadt wird mit Soylent Green ernährt. Das vermeintlich synthetische Wundermittel entpuppt sich jedoch als aus Menschenfleisch gemacht. Am Ende rennt die Hauptfigur schreiend durch die Straße der Stadt: „Soylent Green is people!“

Rhinehart will den Begriff neu besetzt und aus einer Dystopie eine Utopie machen.

Alles begann mit Margarine

So abwegig das alles erst einmal wirkt: Könnte ein Drink wie Soylent nicht nur für gestresste Silicon-Valley-Bewohner hilfreich sein, sondern sogar helfen, den Hunger auf anderen Teilen der Erde zu bekämpfen? Wäre es vielleicht auch eine Möglichkeit, das Essen – das dann mehr einem Trinken gleicht - ökologisch-korrekter zu gestalten?

Für die Titelgeschichte „Die Bauchentscheidung“ der taz am Wochenende vom 25./26. Januar hat sonntaz-Autor Sebastian Kempkens sich nicht nur mit Rob Rhinehart und seiner Vision beschäftigt. Er hat während seiner Recherchen auch einen der Erfinder der Diätmargarine in Hamburg getroffen. Da nämlich begann der Trend mit der Funktionalisierung des Essens. Kempkens verfolgt den Aufstieg der optimierten Margarine, den wissenschaftlichen Kampf um die Deutungshoheit über gesättigte und ungesättigter Fettsäuren, der kürzlich wieder einen neuen Höhepunkt erreicht hat.

Das Bewusstsein für die eigene Ernährung wird immer größer. Eier und Milch kaufen viele beim Bio-Bauern. Sie meiden Emulgatoren und Weichmacher, verzichten auf Fleisch, leben vegan und versuchen die Ernährung effizienter zu gestalten. Und kaufen regelmäßig auch Produkte, die einen niedrigeren Cholesterienspiegel, eine schlankere Taille, mehr Energie oder eine bessere Haut versprechen.

5 Milliarden mit funktionalem Essen

Für die Industrie ist das erst einmal ein gutes Geschäft. Nahrungsmittel, die als gesünder, fairer oder effizienter beworben werden, kosten mehr. Jährlich geben die Deutschen etwa 5 Milliarden Euro für Functional Food aus. Einem Durchschnittshaushalt, dessen Bewohner im Monat 312 Euro für Lebensmittel, Getränke und Tabakwaren zur Verfügung stehen, wird es unmöglich sein, bio zu essen, zu trinken und zu rauchen. Günstig hingegen sind Chips und Tiefkühlpizzen.

Der Stuttgarter Spitzenkoch Vincent Klink bringt die Kritik an der Nahrungsmittelindustrie, die sich daraus ableiten ließe, folgendermaßen auf den Punkt: „Die haben uns erst mit Cola und Tiefkühlpizza dick gemacht und jetzt sagen sie uns, dass wir zu dick sind und jetzt fettfreie oder makrobiotische Lebensmittel essen sollen“. Mit Rob Rhinehart verbindet der Lustfreund wenig.

Könnten Sie es sich vorstellen unter der Woche nicht mehr zu essen – und nur Soylent zu trinken? Ein völlig absurder Gedanke? Oder vielleicht doch ganz praktisch? Was würde Ihnen fehlen, wenn Sie Pasta, Pizza, Spätzle oder Tofu-Wiener nur noch am Wochenende bekämen? Wie sehr zerstört die Funktionalisierung des Essens jetzt schon den Genuss?

Diskutieren Sie mit!

Die ganze Geschichte „Die Bauchentscheidung“ lesen Sie in der taz am Wochenende vom 25./26. Januar 2014.

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