Freies Theater feiert Jubiläum: Quer zur elitären Bubble

Seit 2003 wagt der TD Berlin mit wenigen Mitteln viele Experimente. Am Freitag begeht die freie Theaterbühne ihr 20-jähriges Jubiläum mit einer Party.

Gruppenbild des Teams mit einer Luftballon-20, im Hintergrund der Fernsehturm

Das TD ist in 20 Jahren selbst eine kleine Institution geworden Foto: Meiko Herrmann

Es ist ein kleines Abenteuer, zum TD Berlin zu gelangen. Wieder einmal, muss man sagen. Denn zu Gründerzeiten kurz nach der Milleniumswende musste man sich am Straßenstrich auf der Oranienburger Straße entlangschlängeln, hier dem rumpelnden Gefährt der BVG auf den holprigen Schienen ausweichen, dort Abstand zu den herumlungernden Zuhältern halten. Jetzt brandet der Verkehr auf der Grunerstraße vorbei. Der ist mal ausgebremst, dann wieder beschleunigt durch die Verkehrsleitung entlang der Baustellen. Wo einst Wege waren, sind plötzlich Zäune. Baumaschinen der Strabag recken sich wie Urzeittiere hinter den Barrikaden. Viel Sand wird aufgewirbelt durch den Wind, der über die Brachen tobt, auf denen später das Kulturquartier Molkenmarkt entstehen soll.

Dann aber schafft man es, tritt auf den Hof des früheren Fernmeldeamts in der Klosterstraße. Und hat man erst die oberen Etagen erklommen, eröffnet sich ein spektakulärer Blick hinüber zu Rotem Rathaus, Dom und Fernsehturm.

Als Zugabe gibt es noch Theater. Sprechtheater zumeist. Das war in den 2000er Jahren, als viele nur noch Performance machen wollten und geschriebene Texte für die Bühnenkunst regelrecht verachteten, ein schrilles Unterfangen. Georg Scharegg, Gründer der Bühne, die aus seiner freien Gruppe Theatervorrat hervorging, die im Jahr zuvor auf dem Narva-Turm im Friedrichshain ganz frech ein paar Kapitel aus James Joyce' Weltroman „Ulysses“ auf die Bühne gebracht hatte, glaubte aber an die Macht des Wortes. Auch nach dem performative turn in den Künsten.

Mit ihm glaubten auch andere. „Unser Motto war damals: ‚Texte schnell vom Schreibtisch auf die Bühne‘“, erinnert sich Michael Müller, der 2004 als Dramaturg dazukam und mittlerweile gemeinsam mit Scharegg den TD leitet, gegenüber der taz. „Was wir damals imaginierten, war, dass Leute sich treffen, junge, zeitgenössische Dramatik lesen und sie ein paar Tage später an Bierbänken in einem Schaufenster in der Friedrichstraße ratzfatz raushauen. Das entwickelte sich dann aber ganz schnell in eine sehr schöne und wertschätzende Auseinandersetzung mit diesen Autor*innen“, beschreibt Müller die Anfänge.

Immer neu, immer innovativ

Eine ganze Reihe mittlerweile bekannter Au­to­r*in­nen fand im Theaterdiscounter eine erste größere Öffentlichkeit. Felicia Zeller und Ulrike Syha sind zu nennen, Tim Staffel und Kathrin Röggla. Auch Milo Rau zeigte hier frühe Formen seines Dokumentartheaters. Als später die großen Institutionen die Au­to­r*in­nen (wieder-)zuentdecken begannen, Preise und Stipendien auslobten und ganze Festivals für frische Texte einrichteten, entwickelte der Theaterdiscounter andere Formate wie etwa das Monolog-Festival. Und auch andere Dinge, die in den Förderlogiken des immer neu, immer innovativ sein müssenden freien Theaters kaum vorkommen, fanden hier ihren Platz: Neuinterpretationen von Klassikern zum Beispiel, ganze Reihen zu alten Autoren wie etwa die „Handke Trilogie“, die im letzten Winter von der italienisch-deutschen Compagnie Barletti/Waas gezeigt wurde.

Der TD steht quer zur elitären Bubble in den darstellenden Künsten. Er erlaubt sich auch mit weit weniger Mitteln mehr Experimente als viele Stadt- und Staatstheater. Und damit ist er mittlerweile selbst zu einer kleinen Institution geworden. Etwa ein Dutzend Menschen arbeiten auf sieben Vollzeitarbeitsstellen für das Haus. „Allesamt sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse“, betont Müller, sichtlich stolz. Mehr als 500 verschiedene Produktionen sind in all den Jahren entstanden.

Und wenn sich etwas geändert hat, dann ist der kritische Habitus von einst einer utopisch-bejahenden Haltung gewichen. „Anfangs waren wir noch ein bisschen mehr auf der Suche nach dem Absonderlichen. Das haben wir auch bis heute nicht verloren. Wir suchen immer noch Stoffe, die interessant erzählt werden können. Gleichzeitig ist in unser Theater mehr dieser utopische Charakter reingewachsen, dass man sagt: ‚Wir performen auch die Gesellschaft, die wir sein möchten‘“, konstatiert Müller und nennt Themen wie Antirassismus, Antisexismus und Diversität.

Zuletzt wurde hier der Defa-Schmachtfetzen „Die Legende von Paul und Paula“ mit George Batailles sehr drastischen Theoremen zu Sexualität und Begehren gegen den Strich gebürstet. Zum 20-jährigen Jubiläum ist vor allem Party mit einigen Pop-up-Reden und grandiosen Blicken auf die zu Füßen liegende Stadtmitte angesagt.

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