Ex-Parlamentspräsident verurteilt: Lautloser Abschied in Tunesien

Wegen „illegaler Finanzierung einer Partei“ muss der Vorsitzende der Partei Ennahda in Haft. Das kommt dem Präsidenten gelegen.

EIn Mann spricht in ein Mikrofon

Da war er noch ein freier Mann: Ghannouchi im Winter 2021 in Tunis Foto: Zoubeir Souissi/File Photo

TUNIS taz | Ein auf Korruptionsfälle spezialisiertes Gericht in Tunis hat am Donnerstag den ehemaligen Parlamentspräsidenten und Vorsitzenden der gemäßigt islamistischen Ennahda-Partei, Rachid Ghannouchi, zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Mit ihm zusammen saß auch der ehemalige Außenminister Rafik Ben Abdessalem Bouchlaka auf der Anklagebank, wegen aus dem Ausland an die Partei geflossener Gelder. Auch Bouchlaka muss für drei Jahre hinter Gitter. Wie Ghannouchi kann er das Urteil aber noch anfechten.

Gerichtssprecher Mohamed Zitouna sagte gegenüber dem Radiosender Mosaique FM, die Richter hätten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wegen „illegaler Finanzierung einer politischen Partei“ als solche bestätigt und die Ennahda-Partei zusätzlich zu einer Geldstrafe von 1,17 Millionen Dollar verurteilt.

Der 82-jährige Ghannouchi war bereits 2023 wegen angeblicher Anstiftung zum Terrorismus festgenommen und später zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Er hatte damals öffentlich davor gewarnt, die unter dem mit harter Hand regierenden Kais Saied anhaltende Verhaftungswelle in Tunesien könne zu einer Rückkehr der Gewalt führen. Islamisten hatten 2015 mit einer Welle von Anschlägen das Land an den Rand eines Bürgerkrieges gebracht.

Seit dem Putsch von Saied am 15. Juli 2021 wurden Dutzende Richter, Politiker und Journalisten wegen Korruption und Hinterziehung verhaftet, eine unbekannte Zahl von Geschäftsleuten steht auf einer öffentlich nicht bekannten roten Liste, immer wieder werden Fälle von durch Behörden untersagten Ausreisen bekannt.

Mix aus basisdemokratischen Elementen und Autokratie

Heimlich gefilmte Treffen Ghannouchis mit radikalen Salafisten zeigten: Ennahda-Funktionäre halfen jungen Tunesiern dabei, Teil der Terrorgruppe IS zu werden

Saied hatte die damalige Absetzung der Regierung und des Parlaments so begründet: Angesichts der weltweit höchsten Corona-Infektionsrate und der größten Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit seien sie untätig geblieben. Seitdem baut der Juraprofessor das politische System des ehemaligen Vorzeigelandes des arabischen Frühlings um: In eine krude Mischung aus basisdemokratischen Elementen, gepaart mit autokratischer Machtfülle für ihn selbst.

Trotz explodierender Lebensmittelpreise hält die Mehrheit der Bürger Saied immer noch für einen uneigennützigen Gegner der unbeliebten politischen Elite. Bei den von ihm organisierten Parlamentswahlen gingen allerdings kaum mehr als 10 Prozent der Wahlberechtigten an die Wahlurnen, laut den Wahlbeobachter des US-amerikanischen Carter-Centers auch ein – negativer – Weltrekord.

Neben Ghannouchi sitzt derzeit auch die zweite Symbolfigur der Opposition im Gefängnis. Abir Moussi, die Präsidentin der ehemals regime-nahen „Freie Destour“-Partei, ist wie Kais Saied eine erbitterte Gegnerin der muslimbrüdernahen Ennahda. Bei den für den Herbst geplanten Präsidentschaftswahlen will sie gegen Saied antreten.

Die politische Laufbahn von Ghannouchi scheint mit der Verteilung nun unerwartet sang- und klanglos zu Ende gehen. Weder von westlichen Diplomaten noch in den Medien gab es am Freitag Reaktionen auf das Urteil.

Ghannouchi galt als Symbolfigur des moderaten politischen Islam

Nach 30 Jahren im Exil in Großbritannien war Ghannouchi am 21. Januar 2011 nach Tunesien zurückgekehrt – wenige Tage nachdem Langzeitherrscher Ben Ali zusammen mit seiner Entourage und aus der Zentralbank gestohlenem Bargeld nach Saudi-Arabien floh.

Westlichen Diplomaten und Medien sahen in Ghannouchi einen Moderaten, eine Symbolfigur für die Vereinbarkeit von Demokratie und religiös geprägten Politikern. „Muslimische Demokraten“ nannten sich die Ennahda-Funktionäre gerne und verglichen sich in Interviews mit den christlich-demokratischen deutschen Parteien CDU und CSU.

Unter Ghannouchi war die Ennahda an allen 10 Regierungen nach dem arabischen Frühling beteiligt. Seine Kompromissfähigkeit gegenüber politischen Gegnern dürfte Tunesien immer wieder vor dem Ausbruch von Gewalt bewahrt haben.

Doch heimlich gefilmte Treffen Ghannouchis mit radikalen Salafisten zeigten eine andere Seite der Ennahda: Ihre Funktionäre halfen jungen Tunesiern dabei, in den Kampf gegen Bashar Assad nach Syrien zu ziehen. Dass damit über 3.000 Tunesier Teil des Isamischen Staates wurden, haben viele Tunesier Ghannouchi bis heute nicht verziehen.

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