EuGH zu Familienzusammenführung: Aufatmen bei Familien

Deutschland hat jahrelang das Recht von jungen Flüchtlingen auf Familienzusammenführung verletzt. Das entschied nun der EuGH in Luxemburg.

Protestaktion vor dem Bundeskanzleramt.

Protest für Familienzusammenführung vor dem Bundeskanzleramt im Juli 2022 Foto: Kay Nieteld/dpa

Karlsruhe taz | Deutschland hat jahrelang das Recht von jungen Flüchtlingen auf Familienzusammenführung verletzt. Das stellte nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg fest. Entscheidend sei die Minderjährigkeit bei der Asylantragstellung, nicht beim Antrag auf Familiennachzug.

In einem der Fälle ging es um einen syrischen Jungen, der als 16-Jähriger nach Deutschland kam und im Dezember 2015 einen Asylantrag stellte. Nach sieben Monaten wurde er im Juli 2016 in Deutschland als Flüchtling anerkannt.

Im Oktober 2016 beantragte die syrische Mutter des Jugendlichen bei der deutschen Botschaft in Beirut (Libanon) für sich und drei weitere minderjährige Kinder die Familienzusammenführung mit dem älteren Sohn in Deutschland. Im März 2017 lehnte die Botschaft den Antrag auf Familienzusammenführung mit der Begründung ab, dass der Sohn in Deutschland inzwischen volljährig sei.

Alter des Antrags maßgeblich

Dagegen klagte die Mutter und erhielt zunächst vor dem Verwaltungsgericht Berlin Recht. Doch die Bundesregierung ging in Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht nach Leipzig. Das Leipziger Gericht legte den Fall dem EuGH vor, der nun die zugrundeliegende EU-Richtlinie zur Familienzusammenführung auslegte.

Der EuGH entschied nun, dass für die Minderjährigkeit der Zeitpunkt des Asylantrags des Jugendlichen maßgeblich war. Im Dezember 2015 war er noch 16 Jahre alt. Wenn es auf das Datum des Asylbescheids oder den Bescheid über den Antrag auf Familienzusammenführung ankäme, argumentierte der EuGH, hätten es die Behörden ganz in der Hand, die Familienzusammenführung zu vereiteln, indem sie die Anträge bewusst langsam bearbeiten. Laut EU-Recht sollen Asylanträge von Minderjährigen vorrangig beschieden werden, es dürfe deshalb keinen Anreiz geben, sie erst mal liegen zu lassen.

Diese Entscheidung kommt nicht überraschend, denn im Jahr 2018 hatte der EuGH in einem Fall aus den Niederlanden schon einmal so entschieden. Die Flüchtlingsfamilien beriefen sich natürlich auch gegenüber der Bundesregierung auf das EuGH-Urteil von 2018. Doch die Bundesregierung behauptete, das Urteil sei nicht auf Deutschland übertragbar. Auch unter der Ampelregierung mit der neuen SPD-Innenministerin Nancy Faeser änderte sich daran nichts.

Hoffnung für viele Geflüchtete

Inzwischen ist der syrische Sohn zwar schon 23 Jahre alt. Doch nun werden seine Mutter und möglicherweise auch die Geschwister doch noch nach Deutschland einreisen können. Eigentlich haben Eltern, die zu einem minderjährigen Flüchtling nach Deutschland einreisen, nur ein Aufenthaltsrecht, bis der Jugendliche volljährig ist. In aller Regel stellen die Eltern dann in Deutschland aber selbst einen Asylantrag und können daher längerfristig bleiben.

Parallel entschied der EuGH gestern auch einen Fall in umgekehrter Konstellation. Hier ging es um eine 17-jährige Syrerin, die zu ihrem Vater nach Deutschland nachreisen wollte, der hier 2016 einen Asylantrag gestellt hatte. Als der Asylantrag 2017 anerkannt war und die Tochter einen Antrag auf Familienzusammenführung stellte, wurde aber auch ihr vorgehalten, dass sie nun volljährig sei. Laut EuGH kommt es aber auch in dieser Konstellation auf die Minderjährigkeit zum Zeitpunkt des Asylantrags an.

„Viele durch die Flucht zerrissene Familien können nach den Urteilen aufatmen: Ihr Anspruch auf Familiennachzug besteht weiter, auch wenn ein Kind volljährig wird“, sagte Wiebke Judith von der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl. Gleichzeitig kritisierte sie die Bundesregierung: „Es ist ein Skandal, dass Deutschland diese Familien vier weitere Jahre hingehalten hat, obwohl die Rechtslage bereits nach dem Urteil des EuGHs von 2018 eindeutig war.“

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