Energiewende und Landwirtschaft: Oben Solarpark, unten Trecker

Agri-Photovoltaik-Flächen können Energie, Landwirtschaft und Artenschutz miteinander kombinieren. Aber noch ist ihre Umsetzung schwierig.

Ein Traktor fährt unter Solarpanelen

Genug Abstand für Licht und Regen und hoch genug, dass ein Trecker darunter passt Foto: Philipp Schulze/dpa

KLEIN RHEIDE taz | Glockenblumen und Wiesenschaumkraut leuchten zwischen den Grashalmen, ein weißer Falter flattert über den Blüten. In lockeren Reihen stehen im schleswig-holsteinischen Klein Rheide Photovoltaik-Anlagen auf der Wiese. Sie sind so weit auseinander, dass zwischen ihnen Sonnenlicht auf den Boden fallen kann, und so hoch, dass Menschen und Geräte unter ihnen arbeiten können, durch die Ritzen zwischen den Modulen fällt Regen. Auf der Wiese finden sich seltene Pflanzen wie die Sand-Strohblume und Tiere wie die Kreuzkröte, die in einem Teich auf dem Gelände lebt.

„Rechtlich ist das hier ein Supermarktparkplatz“, sagt René Nissen, Geschäftsführer der „Wattmanufactur“, ein Unternehmen aus Nordfriesland, das Solarparks baut und dabei einen ökologischen Mehrwert schaffen will, so die Firmenwerbung. Die Wattmanufactur setzt sich als Teil eines Bündnisses von Anlagenherstellern und Energieunternehmen dafür ein, Energiegewinnung, Artenschutz und Landwirtschaft zusammenzudenken und die rechtlichen Probleme zu lösen, die heute noch die Kombination von Photovoltaik und Landwirtschaft erschweren.

Denn die sogenannten Agri-Photovoltaik-Flächen, vor allem wenn sie extensiv betrieben werden, könnten mehrere Probleme auf einmal lösen. Die Schwierigkeiten der Umsetzung liegen im Detail – und darin, dass das Verfahren noch nicht bekannt genug ist, glauben Nissen und seine Mitstreiter*innen. Das wollen sie ändern: Anfang August schaute Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf seiner Sommertour vorbei, auch sein Parteifreund Cem Özdemir, im Bundeskabinett für Landwirtschaft zuständig, war im Juni da.

Der Zeitpunkt passt: Die Bundesregierung arbeitet zurzeit an einem Solarpaket, das nach Ende der politischen Sommerpause im Bundestag beraten werden soll. Der Ausbau von Photovoltaik-Anlagen ist ein Ziel der Ampelregierung: 20 Gigawatt Leistung sollen künftig pro Jahr hinzukommen, davon je die Hälfte auf Dächern und in der Fläche, sagt Habeck. Doch wohin sollen alle diese Solarparks, wenn gleichzeitig Land für Windräder, Naturschutz und Wohnungsbau gebraucht wird? Bisher wurden oft Äcker und Wiesen umgewandelt, aber auch deren Menge ist begrenzt.

Zweimal Geld für jeden Meter

„Agri-Photovoltaik kann diese Nutzungskonflikte lösen, ohne dass die bisherige Nutzung von Feldern, Äckern und Wiesen verloren geht, und sie hat das technische Potenzial, mehr als den gesamten aktuellen Strombedarf zu decken“, so steht es in einer Stellungnahme des Bauernverbandes.

Wenn die Landwirtschaftslobby jubelt, ist Obacht geboten: Unterm Strich bedeutet das Modell der doppelten Nutzung, dass Land­wir­t*in­nen an einem Quadratmeter Boden zweimal verdienen. Kann das fair sein? „Ja“, sagt Nissen. Denn ein Großteil der landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland ist verpachtet. Wird ein Acker komplett in einen Solarpark umgewandelt, verdienen die Land­be­sit­ze­r*in­nen und Investor*innen, während die Bäue­r*in­nen die Fläche verlieren. Bei Agri-PV können sie sie weiter nutzen, allerdings anders als vorher.

Daher sehen auch Naturschutz-Organisationen in dem Modell eine Chance, gerade wenn intensiv bewirtschaftetes Land umgewandelt wird: „Rundum begrünte Photovoltaik-Anlagen, genannt Biodiversitäts-Solarparks, könnten ein Gewinn für Flora und Fauna sein, denn unter und um die Solarmodule wächst und blüht es – für Insekten, Kriechtiere und auch für Schafe ein Paradies“, schreibt Ina Walenda, Photovoltaik-Expertin der Naturfreunde Schleswig-Holstein. Möglich seien biodiverse Verbundsysteme, die sich als Grünstreifen durch die Agrarlandschaft ziehen.

Von solchen Modellen sprechen auch Teilnehmende des Vor-Ort-Termins auf dem Solarpark Klein Rheide, den die Wattmanufactur auf dem Gelände des Landwirts Dag Frerichs errichtet hat. Auf der Fläche stand früher Mais, berichtet Frerichs. Dann entschloss er sich, gemeinsam mit der Gemeinde, die Fläche zur Stromproduktion zu nutzen – und gleichzeitig etwas für Artenschutz und Biodiversität zu tun. Denn nach der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU sind Land­wir­t*in­nen verpflichtet, 4 Prozent ihrer Äcker brachliegen zu lassen.

Möglich ist im Baurecht vieles

Hier taucht das nächste Problem auf: Kann eine Fläche, auf der Solaranlagen stehen, als unbewirtschaftet gelten? In einigen Bundesländern, darunter Niedersachsen, kann ein Gelände, auf dem sich Artenvielfalt nachweisen lässt, seine eigene Ausgleichsfläche sein, während ein Solarpark in Schleswig-Holstein als Gewerbefläche gilt. „Das Land hat es eigentlich gut gemacht und Regeln für Solarenergie aufgestellt“, sagt René Nissen. „Doch das fällt uns jetzt auf die Füße, weil extensive Agri-PV nicht vorgesehen ist.“

Auch wenn die Länder einigen Spielraum haben, ist hauptsächlich die Bundesebene gefragt. Aus Sicht der Verbände und Energieunternehmen wäre es sinnvoll, das Thema beim Landwirtschaftsministerium anzudocken und bereits bestehende Verordnungen zu ergänzen. Generell könnten Landwirt*in­nen bereits jetzt mit dem Bau solcher Parks loslegen, aber oft scheuen sich Gemeinden, Projekte außerhalb der Standards zu genehmigen, weiß der Jurist Jens Vollprecht. Er will den Beteiligten Mut machen: „Baurecht kann vieles.“

Am besten hilft eigene Anschauung, ist René Nissen überzeugt: „Wir hatten schon Naturschützer hier, die vorher gedacht hatten, Draht und Kabel passen nicht zu Biodiversität. Und Gemeinderäte, die begeistert waren, wie gut die Fläche aussieht.“ Schlecht seien Agri-PV-Anlagen nur für Investoren, die möglichst viel Strom pro Quadratmeter erzeugen wollten. Dabei liege der Ertrag etwa in Klein Rheide gar nicht weit unterhalb des Maximums: „Bei einer klassischen Solar-Fläche könnten wir hier 1,4 Megawatt Strom erzeugen, hier sind es 1,2 MW.“

Das Verfahren erfordere ein Umdenken aller Beteiligten, auch im Artenschutz, sagte Habeck nach dem Rundgang. Um angesichts begrenzter Flächen die Ausbauziele für Photovoltaik zu schaffen, „sollten wir uns dem Gedanken nähern, dass dieses Modell der Standard wird“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.