Die Wahrheit: Nazis und Sauertöpfe

Die Massendemonstrationen der letzten Zeit biegt sich die AfD in ihr Weltbild zurecht. Aber auch Linke sehen Proteste gegen Rechts nicht immer gern.

Die Massendemonstrationen gegen rechts haben ein lebhaftes Echo ausgelöst. Die Voll-, Halb- und Viertelnazis der AfD waren erwartungsgemäß nicht begeistert. Haben sie gerade noch ein paar tausend marodierende Bauern, die das nutzlose Stadtvolk von Berlin-Mitte aus dem Schlaf getreckert haben, als Volksaufstand einer schweigenden Mehrheit gefeiert, müssen sie sich nun ziemlich verrenken, die hundertfache Menschenmenge als bezahlte Büttel der herrschenden Klasse zu verkaufen. Anders gesagt: „Es zeigt aber auch ganz deutlich, wie diese abgewirtschaftete Bundesregierung zusammen mit ihren linksradikalen Kampfverbänden gegen die arbeitende Bevölkerung mobil macht.“

Ach nein, Entschuldigung. Das hat ja gar kein Voll-, Halb- oder Viertelnazi der AfD gesagt, sondern Kurt Wansner von der CDU, Alterspräsident im Berliner Abgeordnetenhaus und Vorsitzender des Ausschusses für Verfassungsschutz. Man kommt da so schnell durcheinander.

Von links wurde an den Demonstrationen ebenfalls allerlei bemängelt. Gratismut zum Beispiel. Denn eine Demo ist erst dann gut, wenn man dafür ins Gefängnis kommt oder aufs Maul kriegt, sonst taugt sie nicht. So mahnen die Topchecker aus dem Epizentrum der Gefahr, auf Facebook. Auch Selbstvergewisserung in der Gruppe beklagen sie, wofür sie viele Likes bekommen von allen, die dieses billige Gemeinschaftsgefühl ebenfalls ablehnen – und ein Herzchen noch dazu!

Ganz zu schweigen davon, dass auch die falschen Leute auf der Demo mitlaufen, die mitunter noch gar nicht erkannt haben, dass der Kapitalismus an allem Schuld ist oder wenigstens die Ampel. Außerdem: Nach dem Massaker der Hamas hätten dieselben Leute nicht gegen Antisemitismus demonstriert. Das bedauere ich zwar auch – weshalb es deswegen aber besser wäre, würden sie nicht wenigstens gegen die antisemitisch grundierte AfD demonstrieren, erschließt sich mir nicht so recht.

Ich denke, man kann die Einwände gegen die Massendemonstrationen so zusammenfassen: Das Kernproblem ist, dass nicht alle Leute exakt dieselben Meinungen, ästhetischen Vorlieben und Prioritäten haben. Ein pain in the ass, für den ich großes Verständnis habe. Weshalb ich normalerweise konsequent allein an meinem Schreibtisch sitzen bleibe. Schon meine Frau vertritt mitunter Vorstellungen, die ich nicht teile – da werde ich mich doch nicht mit ihr auf der Straße blicken lassen!

Andererseits: Wenn so eine Demo den Mitwirkenden ein gutes Gemeinschaftsgefühl gibt, wenn sie zudem, wie mir mein migrationshintergründischer Spätverkäufer versichert, auch ihm ein gutes Gefühl gibt, weil er es mag, wenn Leute auf die Straße gehen gegen Fantasien, Menschen wie ihn außer Landes zu schaffen, und wenn sie zudem die AfDler ebenso ärgert wie die Wansners und die linken Sauertöpfe – dann muss ich glatt überlegen, ob ich beim nächsten Mal nicht auch mitmache.

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Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).

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kari

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