Die Wahrheit: Politikverdruss total am Anschlag

Die neue kraftlose Volksbewegung: Zum kraftzehrenden Besuch bei der Depressiv Defätistischen Union Deutschlands (DDUD).

eine pillendose aus der Pillen kommen

Da helfen so gar keine Pillen mehr, wenn der Defätismus voll zuschlägt Foto: AP

Es ist nicht leicht, Hertha Gundreith zu treffen. „Das bringt doch alles nichts“, hatte die designierte Vorsitzende der Depressiv Defätistischen Union Deutschlands in Gründung (DDUD i. G.) bei unserem ersten Verabredungsversuch ins Telefon geflüstert. Auch beim zweiten Mal warteten wir vergeblich auf die Vordenkerin jener neuen Partei, die führenden Psychoanalytikern zufolge die politischen Neurosen des Landes weitaus erfolgreicher artikulieren könnte als Sahra Wagenknechts Ego-Bündnis, Hans-Georg Maaßens Union der frustriert Aggressiven oder Björn Höckes faschistischer Regressionsapparat.

„Frau Gundreith hat heute Morgen versehentlich Nachrichten geschaut, und jetzt geht es ihr nicht so“, ließ ihr persönlicher Referent und Therapeut Dr. Ritter ausrichten, als die Pressekonferenz im abgedunkelten Besuchsraum einer psychosomatischen Klinik abgesagt wurde.

Dabei drängt die Zeit, denn der DDUD wird auch abseits psychiatrischer Einrichtungen ein gewichtiges Potenzial zugesprochen. „Über 50 Prozent aller Wähler schwanken derzeit zwischen Hoffnungsverlust, Verzweiflung und Mutlosigkeit“, sagt Pessimismusforscher Hans-Claus Schiercke, der für die Kassandra-Stiftung den Verzagungsgrad der Deutschen analysiert. „30 Prozent würden angesichts der weltweiten Krisen lieber heute als morgen kapitulieren. Das ist ein fürwahr gewaltiges Wählerreservoir für die DDUD.“

Doch dazu müsste es der zutiefst schwermütigen Bewegung gelingen, rechtzeitig zu den Wahlen bundesweite Parteistrukturen aufzubauen. Derart zukunftsgläubiger Aktionismus lässt sich allerdings weder mit der Programmatik („Aufgeben!“) noch mit der fragilen psychischen Disposition der Vorsitzenden vereinbaren.

Auch das dritte Treffen sagt Gundreith wegen eines wichtigen Termins zunächst ab. Vollkommen überraschend muss sie den Tag hinter zugezogenen Vorhängen im Bett verbringen. Erst nachdem wir versprechen, mit gedämpfter Stimme zu sprechen und ein Sträußchen Johanniskraut sowie eine Tageslichtlampe zur Stimmungsaufhellung mitzubringen, lässt sich Hertha Gundreith auf das Gespräch ein.

Hertha Gundreith, DDUD i. G.

„Alles scheiße. Da ist nix zu machen“

Die Führerin der potenziell mitgliederstärksten Partei Deutschlands empfängt uns in einem Hausmantel, der über ihre Ernährungsgewohnheiten Aufschluss bietet: Overnight Oats und Schokolade. Gundreith wirkt matt, ihre Haut schimmert wächsern.

„Ich kann echt nicht mehr“, sagt die kunstvoll unfrisierte Mittvierzigerin zur Begrüßung und ihre Augen füllen sich mit Tränen. „Eben ist meine drittliebste Tasse zerbrochen. Und dann auch noch die Klima­krise!“

Wir sind beeindruckt. Es ist neben ihrer extremen Dünnhäutigkeit diese Fähigkeit, auch kleinste private Anfechtungen zusammen mit politischen Themen zu einem Narrativ von niederschmetternder Aussichtslosigkeit zu verdichten, die Hertha Gundreith zur Führungsfigur der Resignierten und Kraftlosen macht. „Die AfD wird stärkste Partei, der Russe gewinnt und Regen ist auch wieder angesagt“, setzt sie nach und wir greifen erstmals in das Schüsselchen auf dem Beistelltisch, in der bunte Pillen zum Naschen liegen.

„Die Bauern sind jetzt alle Nazis“, geht Gundreith übergangslos zur nächsten Klage über. „Und Netflix wird auch schon wieder teurer.“ Sie schaufelt sich eine Handvoll der Antidepressiva aus dem Schüsselchen in den Mund und spült mit Weißwein nach. An ihrem Fazit ändert die Selbstmedikation allerdings nichts. „Alles scheiße“, murmelt sie tonlos. „Da ist nix zu machen.“

Bereits seit Jahren trendet Gundreith in den soziale Medien mit dem Hashtag #aufgeben, unter dem sie ihren unerschütterlichen Untergangsglauben verbreitet. Mittlerweile ist #aufgeben zu einer klandestinen Volksbewegung gewachsen, aus der Gundreith das schlagkräftige Inaktionsbündnis der DDUD schmieden will, sobald es ihre zerrütteten Nerven zulassen.

In ihrem erfolgreichen Mumble-Podcast „Hertha Dolorosa“ hat Gundreith schon einmal die zentralen Anliegen umrissen: ein Grundrecht auf Überforderung, Selbsthass als Schulfach und die Aussetzung aller Wahlen, bis die Welt von alleine aufhört, so verdammt kompliziert zu sein. Bei der Antwort nach der künftigen Regierungsform bleibt die Vorsitzende allerdings vage: „Darum kann ich mich nicht auch noch kümmern, ich bin eh schon total am Anschlag“, greint die passiv-aggressiv begabte Rhetorin, bevor sie zur Selbstberuhigung das Mantra der eigenmächtig Ohnmächtigen murmelt: „Die da oben machen ja doch, was sie wollen.“

Mit Weißwein nachspülen

Gundreith spült wieder mit Weißwein nach und spult den gesundheitspolitischen Forderungskatalog der DDUD ab: Day Drinking soll als Kassenleistung abgerechnet, die Rezeptpflicht für Psychopharmaka soll aufgehoben werden, Sterbehilfe soll nach Eigendiagnose und sogar bei einer saisonal affektiven Störung wie dem Winterblues gewährt werden.

Außenpolitisch strebt die DDUD strikte Schicksalsergebenheit an, will aber für Deutschland eine möglichst komfortable Opferrolle aushandeln. Dazu sollen vorauseilende Kapitulationserklärungen an alle Schurkenstaaten verschickt werden. Die Unaufhaltsamkeit des Klimawandels soll im Grundgesetz verankert werden und Rechtsextremen prophylaktisch das Feld überlassen werden, weil das „ja eh alles nicht zu verhindern ist“, wie Hertha Gundreith nicht müde zu betonen wird.

Mit diesem Programm, das allen deutschen Empfindsam- und Hasenfüßigkeiten Rechnung trägt, könnte die Depressiv Defätistische Union Deutschlands Volkspartei werden, womöglich gar eine Mehrheit bei den mehrheitlich überfordernden Wahlen erringen.

Dazu müsste Gundreith allerdings die nötigen Unterlagen für die Parteigründung beim Bundeswahlleiter einreichen. „Haben Sie in letzter Zeit mal versucht, Briefmarken zu kaufen?“, schüttelt die Designierte den Kopf. „Gibt ja kaum noch Postfilialen! Geht doch alles den Bach runter.“

Gundreith fleddert einen dicken Umschlag aus einem Haufen benutzter Teller und Kleidungsstücke neben dem Bett und reicht ihn uns, bevor sie sich umdreht und die Wand anstarrt.

„Machen Sie das“, flüstert sie zum Abschied. „Ich habe wirklich genug um die Ohren.“

Wir versuchen, dem Wunsch der Ausnahmepolitikerin zu entsprechen, aber dann juckt es uns in den Fingern. Auf der Straße zerreißen wir die Papiere in kleine Fetzen, die der Wind davonträgt. Es fühlt sich ungewohnt sinnvoll an. Zum ersten Mal seit Monaten spüren wir einen Anflug von Optimismus. Aber vielleicht beginnen auch bloß die Pillen zu wirken.

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