Debatte um Rechtsruck: Die Mehrheit will ihre Ruhe

Wir sollten keinen Rechtsruck beschwören und die Deutschen in Lager sortieren. Wir sollten sie für das Gemeinsame gewinnen, an dem sie teilhaben.

Wahlplakate in einem bayrischen Ort.

Wahlplakate in Garmisch-Partenkirchen zur bayrischen Landtagswahl am 8. Oktober Foto: Manngold/imago

Selbstverständlich ist die Möglichkeit eines „Rechtsrucks“ in Deutschland ernst zu nehmen, und dennoch will ich argumentieren, dass es realpolitisch noch keinen Rechtsruck gibt, dass es überhaupt nicht klug ist, einen Rechtsruck herbeizureden und dass dieses eingeübte Denken sich vor allem in dem alten kulturellen Paradigma links-rechts (und gut-böse) vollzieht, mit dem die anstehenden Probleme nicht gelöst werden und die dafür nötigen Mehrheiten nicht zusammenkommen können.

Also: Bei den jüngsten Wahlen in Bayern und Hessen hat die AfD Stimmen gewonnen, die Union in Hessen auch, die Parteien der derzeit im Bund regierenden Koalition haben satt verloren. Der erste Widerspruch beginnt damit, anzunehmen, dass die Leute in Scharen von links nach rechts gehen – und gleichzeitig rumzumaulen, dass ja gar keine Partei mehr „richtig links“ sei. Letzteres ist richtig. Für die SPD stimmt das seit 1918, spätestens seit Godesberg, und für die Grünen ist es Programmatik seit ihrer Gründung („weder rechts noch links, sondern vorn“).

Im alten Denken würde man beide Parteien als Mitte-links verorten, Union und FDP als Mitte-rechts. Entscheidend ist, dass alle im liberaldemokratischen Spektrum sind, die AfD aber die Demokratie überwinden will. Es ist daher nicht nur falsch, sondern auch fahrlässig mit „Weimar reloaded“-Geraune die Stimmen von (Christ)-Demokraten und Antidemokraten einfach zusammenzuzählen. Analysen der Landtagswahlen ergeben zudem, dass viele Wähler der demokratiefeindlichen AfD weiterhin im liberaldemokratischen Spektrum sind. Das ist ein Widerspruch, zeigt aber, dass sie zurückzugewinnen sind.

Interessanterweise beschreiben ja liberalkonservative Publizisten und Strategen die Lage als Linksruck, framen die SPD und vor allem die Grünen als superlinke und superwoke Allesbestimmer, um zwei Identitätslager zu simulieren, hier autoritäre Linkswoke und dort „normale“ Menschen. Nun gibt es ja linksautoritäre Superwokies im Land, schätzungsweise 132. Es gibt aber keine „linksgrüne“ Hegemonie, weil „linksgrün“ nur ein schwammiges und anachronistisches Stereotyp ist, aber keine politische Programmatik.

Mainstreamkultur der vielen

Was es allerdings gibt: eine Mainstreamkultur der vielen, die in den letzten 40 Jahren in der Tendenz gesellschaftsliberaler und europäischer denken, manche (gern auf dem Land) etwas weniger, manche (meist akademische Okayverdiener) etwas mehr. Dafür produzieren die auf dem Land häufig ihren Strom und auch ihre Wärme selbst, während die postfossile Wende bei den Urbanen eher theoretisch ist.

Diese durchaus heterogene Mehrheitsgesellschaft ist weder antikapitalistisch noch postkolonial, noch radikalökologisch, und sie ist trotz ihrer Unterschiede nicht gespalten, wie der Soziologe Steffen Mau in „Triggerpunkte“ belegt. Sie will keinen Rechtsruck und keinen Linksruck, auch keinen Zukunftsruck, lieber ihre Ruhe. Aber das sind nun mal die Leute, die es gibt, um unsere Demokratie und emanzipatorische Freiheit zu schützen und zu diesem Zwecke schleunigst postfossil zu wirtschaften und zu leben. Das sind wir.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Statt einen Rechtsruck zu beschwören und die Deutschen in Identitätslager zu sortieren, sollte man sie für das Gemeinsame gewinnen, an dem sie teilhaben. „Linke Politik“ muss Teil der Transformation sein, um sie einigermaßen sozial zu gestalten und damit möglich zu machen. Es braucht dafür aber auch Marktwirtschaft, Start-ups, Erfindungen, Handwerk, Beam­te, es braucht Regulierung und Öffnung. Unsere Zukunft ist ein neuer Mix aus konservativen, liberalen und linken Wegen und Instrumenten.

Das gemeinsame Wort dafür ist Sozialökologie.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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