Konsens in der Ampel gesucht: Ist die Regierung schuld?

Die Welt, wie wir sie kennen, ist am Ende. Wir sollten da nach Gemeinsamkeiten suchen, wo keine mehr sind, findet unser Autor.

Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz sitzen auf ihren Plätzen im Bundestag und schauen auf ihre Handys

Berlin 13.12., Lindner, Habeck und Scholz im Bundestag: gesellschaftliches Bündnis, das die drängenden großen Reformen klientelfrei anpackt? Foto: Florain Gärtner/photothek/imago

Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist am Ende. Oder, weniger dramatisch: Es gelingt ihr noch weniger als erwartet, sich auf Gemeinsames zu verständigen. Jetzt kann man sagen, das sei die Schuld der Beteiligten oder einer bestimmten Partei. Das Problem ist aber größer. Die Bundesrepublik ist am Ende – in ihren Routinen des Regierens und Denkens. Die entscheidenden Dinge, auf denen Deutschland und die EU aufgebaut waren, funktionieren nicht mehr oder sind bedroht: der billige amerikanische Schutz, die billige russische Energie, der reich machende chinesische Markt.

Und jede Menge davon abgeleitete Dinge und Gedanken sind auch nicht mehr hilfreich, etwa der bequeme und egoistische Pazifismus, der als Weltläufigkeit getarnte Germano­zentrismus, die weitgehende Ignoranz gegenüber den bedrohten planetarischen Lebensgrundlagen, den Grundlagen des mehrheitlichen Wohlstands und des im Vergleich beträchtlichen Sozialstaats. Und vor allem ist die politische Methodik am Ende, Klientel-Klein-Klein mit zusätzlichem Geld zu machen, weil Großkorrekturen im laufenden Betrieb nahezu unmöglich und nicht durchsetzbar erscheinen (oder sind).

Das bedeutet nicht, dass wir völlig im Arsch sind: Im europäischen Vergleich scheint das Regieren in Frankreich, den Niederlanden oder Spanien weit problematischer. Damit wieder mehr geht, ist es aber nötig einzusehen, dass sich nicht nur die Kundschaft der Rechtspopulisten schwer mit den veränderten Zeiten tut, sondern unsereins auch. Weil wir selbst gelähmt (und bequem) sind und immer nur das machen, was wir immer gemacht haben. Immer nur das sagen, was wir immer gesagt haben.

Es gibt keine gemeinsamen Ziele

SPD ist ja gar nicht für Gerechtigkeit, Grüne vergessen die soziale Frage, FDP ist sowieso scheiße, Union kippt nach rechts. Letzteres ist eine self-fullfilling prophecy vom Aller­unfeinsten, die nur einem Ziel dienen kann: recht gehabt zu haben. Und die AfD? Da sagen wir „schlimm“ und bereiten uns schon gemütlich auf das Hyperventilieren 2024 vor.

Die Frage am Ende eines weltpolitisch schlimmen Jahrs lautet: Was ist das gemeinsame Interesse, das eine heterogene bundesdeutsche Mehrheit zusammenbringen kann und näher an die globale Realität heran? Hier kann man von der derzeitigen Koalitionsregierung etwas über den gesellschaftlichen Stand der Dinge lernen: Es gibt keine gemeinsamen Ziele. Nicht mal, die Verfassung zu respektieren oder extrem Rechte wirksam zu bekämpfen.

Drängende Reformen klientelfrei anpacken

Wenn einer, in der Regel Vizekanzler Robert Habeck, das „große Ganze“ zu repräsentieren versucht, kriegt er zwar Lobeshymnen für Sprechakte, aber machtpolitisch muss er sich vom grünen Partikulartrupp ausschimpfen lassen, dass er die „eigenen“ Interessen nicht durchsetze.

Wie kommen wir aus den Sackgassen des traditionellen Denkens und Politikmachens raus? Ein neuer Gedanke von Lukas Beckmann: Die drei führenden Parteien – also CDU, Grüne und SPD – und ihre kulturellen Grundströmungen vereinbaren ein gesellschaftliches Bündnis, eine „Gemeinwohlkoalition für eine Marktwirtschaft mit sozialökologischem Antlitz“, die sich darauf verpflichtet, die drängenden großen Reformen (etwa Energietransformation, europäische Verteidigung, Rente, Pflege, Steuer, Vermögensteuer, Wirtschafts-, Finanz- und Generationenpolitik) klientelfrei anzupacken. Das könnte die letzte Chance sein, zu verhindern, dass sich AfD und Wagenknecht-Partei als antieuropäische und antidemokratische Grundströmung festsetzen, sagt Beckmann.

Die Idee mag naiv erscheinen. Aber noch ­naiver ist weitermachen wie bisher.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.