Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus: „Steuern Sie um!“

Rechungshofchefin Karin Klingen mahnt Schwarz-Rot, die Ausgaben deutlich zu reduzieren. Sonst seien die Landesfinanzen in Kürze nicht mehr tragfähig.

Das Foto zeigt die Präsidentin des Landessrechnungshofs von Berlin, Karin Klingen

Sie sieht beim Haushalt das Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben deutlich aus dem Lot: Rechnungshofchefin Karin Klingen Foto: Bernd von Jutrczenka (dpa)

BERLIN taz | In bisher unerhörter Weise hat Rechnungshofpräsidentin Karin Klingen die schwarz-rote Koalition zu einer deutlichen Korrektur der Finanzpolitik und Haushaltsplanung aufgerufen. „Ich appelliere an Sie: Steuern Sie um!“, sagte Klingen am Donnerstag bei der Vorstellung ihres Jahresberichts im Abgeordnetenhaus. Jeder, der künftig in politischer Verantwortung stehe, werde ansonsten große Schwierigkeiten haben, einen Landeshaushalt aufzustellen. „Wollen Sie das?“, fragte die Behördenchefin im Plenarsaal des Parlaments.

Die Berichtspräsentation ist ein fester Termin im Jahreskalender des Abgeordnetenhauses und normalerweise nicht mit viel Aufregung verbunden: Die Rechnungsprüfer heben in der Regel einzelne problematische Bereiche hervor und mahnen generell zu mehr Genauigkeit. In Schriftform lag der Bericht zudem schon seit Ende November vor. Ein derart drastischer Appell wie am Donnerstag war gegenüber den Abgeordneten hingegen noch nie zu hören.

„Der Berliner Landeshaushalt steht kurz vor der Krise“, begann Klingen ihre Kritik. Die Ausgaben seien bei Weitem nicht von den Einnahmen gedeckt. Dabei aber habe Berlin, und das betonte die Rechnungshofchefin ausdrücklich, kein Problem mit den Einnahmen: Die seien in den vergangenen Jahren ständig gestiegen – die Ausgaben aber in noch größerem Maße.

In Kürze skizzierte Klingen die Problematik des im Dezember beschlossenen Doppelhaushalts für 2024 und 2025. In den seien alle langjährigen milliardenschweren Rücklagen geflossen. Dennoch müssten im Etat im laufenden Betrieb noch fast 2 Milliarden Euro jährlich eingespart werden. „Wenn Sie dieses Ausgabenniveau so weiterführen, werden 2026 und 2017 enorme Defizite von mehr als 3 Milliarden Euro pro Jahr entstehen“, rechnete die Behördenchefin vor.

Gendern Der Senat will anders als die bayerische Landesregierung kein Genderverbot für Behörden aussprechen. Regierungschef Kai Wegner (CDU) sagte, er erwarte „von allen Berlinerinnen und Berlinern auch eine gewisse Toleranz: Toleranz für die Menschen, die nicht gendern wollen (wie er selbst; d. taz), genauso wie Toleranz für die Menschen, die gendern möchten“.

Cannabisgesetz Offen blieb, ob Berlin am Freitag im Bundesrat dafür stimmt, beim Cannabisgesetz den Vermittlungsausschuss anzurufen. Das würde das für den 1. April geplante Inkrafttreten verzögern. Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) warnte: Das Gesetz würde die Justiz belasten und nicht entlasten.

Das von der schwarz-roten Koalition ursprünglich geplante Klima-Sondervermögen hatte Klingen schon im November kritisiert, weil sie dafür keine rechtliche Grundlage sah. Sie begrüßte, dass der Senat nun die Pläne einer solchen Notfallkreditaufnahme überdenke. Ein Rechtsgutachten hatte Ende Februar ein solches Sondervermögen als nicht umsetzbar eingeschätzt.

Klingen warnte auch vor Versuchen, die zwar inzwischen auch aus den Reihen der CDU kritisierte, aber weiterhin gültige Schuldenbremse zu um­gehen. Solche Bestrebungen zielen beispielsweise darauf, dass nicht das Land Berlin Kredite aufnimmt, was die Schuldenbremse weithin nicht zulässt, sondern jeweils ein Unter­nehmen im Besitz des Landes, also etwa BSR, BVG oder die sechs Wohnungsbaugesellschaften.

Von der Koalition war als Reaktion und Rechtfertigung vorrangig der Verweis auf Krisen, den Krieg in der Ukraine und die Inflation zu hören. Die SPD-Fraktion verteidigte dabei die von Klingen kritisierte Hauptstadtzulage für öffentlich Beschäftigte: Die hat aus Sicht des Rechnungshofs nicht ihr Ziel erreicht, mehr Personal für das Land zu gewinnen. Die SPD-Abgeordnete Derya Çağlar mochte das zwar nicht bestreiten, argumentierte aber, dass Berlins öffentlicher Dienst ohne die Zulage zahlreiche Mitarbeiter verloren hätte.

Aus der Opposition heraus sah sich Grünen-Finanzpolitiker André Schulze durch die Kritik des Rechnungshofs bestätigt: „Dieses Haushaltschaos ist kein Versehen, es ist auch kein Naturgesetz – es ist einzig und allein das Ergebnis Ihrer schwarz-roten Haushaltspolitik.“ Schulze hielt dem Senat fehlende Transparenz gegenüber dem Parlament vor: Der mache nicht klar, wie es mit dem Sondervermögen, der Hauptstadtzulage oder den angestrebten Einsparungen weitergeht. „Holen Sie sich das Budgetrecht als Parlament zurück“, forderte Schulze die Abgeordneten von CDU und SPD auf, „beenden Sie endlich dieses Transparenzdefizit, bevor es sich zu einem Demokratiedefizit ausweitet.“

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