Debatte Wohnungen für Flüchtlinge: Weg vom rechten Rand

Welche Krise? Für die städtische Wohnungsbaugesellschaft von Frankfurt (Oder) sind die vielen Flüchtlinge willkommene neue Mieter.

Blick über die Oder auf die Silhouette von Frankfurt.

„In Frankfurt (Oder) ist nischt los“, hieß es immer. Das kann sich ja nun ändern. Foto: imago/Jürgen Ritter

Es war einmal eine Zeit, in der aus Frankfurt (Oder) nichts Gutes zu vernehmen war: Demografischen Wandel, Kinder- und Altersarmut und Überalterung der Bevölkerung beklagten die Sozialverantwortlichen, Schrumpfung und Abriss die Stadtplaner.Fehlende Arbeitsplätze und Fachkräftemangel ergänzte die Wirtschaft, Wohnungsleerstand die Wohnungswirtschaft.

Hinzu kam ein unklares Selbstbild. Frankfurt (Oder) – Kleiststadt, Frankfurt (Oder) – Universitätsstadt, Frankfurt (Oder) – Sportstadt, versuchten die Marketingexperten die eigenen Stärken zu beschreiben. „In Frankfurt (Oder) ist nischt los“, verhieß Frankfurter Mund. „Berlin ist größer, bunter, soziokultureller“, schlossen die Studierenden das Klagelied.

Jetzt ist eine Zeit gekommen, in der Minus und Minus endlich zu Plus werden, die einstigen Mängel zum Standortvorteil werden. Auch Frankfurt (Oder) ist verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen. Dieser sozialen Verantwortung stellen sich Frankfurter Akteure der Integrationsarbeit verantwortungsbewusst und engagiert und gestalten gemeinsam den frankfurterischen Weg des guten Zusammenlebens in der Stadt.

Jedem Flüchtling eine Wohnung

Jetzt ist eine Zeit gekommen, in der Minus und Minus endlich zu Plus werden

Der Boden für diese Chance ist der vermietungsfähige Leerstand im kommunalen Wohnungsunternehmen (WOWI). Genährt wird sie durch einen verhältnismäßig nicht überfordernden quantitativen Zustrom von Flüchtlingen: Am 30. 11. 2015 befanden sich 551 Flüchtlinge in kommunaler Verantwortung und 780 Personen in Außenstellen der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Frankfurt (Oder). Zur Blüte kommt sie schließlich durch den Konsens zwischen Verwaltung, kommunaler Wohnungswirtschaft und Politik – die dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungen ist das oberste Ziel in Frankfurt (Oder). Die sonst als „miefig“ empfundenen kurzen Kommunikationswege werden jetzt zum schnellen Dialog genutzt.

Stadt und Wohnungswirtschaft haben eine weitreichende Kooperationsvereinbarung getroffen. Insgesamt können bis zu 480 Asylsuchende mit Wohnraum versorgt werden. Und sie werden nicht einfach „nur“ versorgt. Die soziale Mischung bleibt durch ein Belegungsmanagement mit klar definierten Grenzen gewährleistet. Die Flüchtlinge erhalten mehrere Wohnraumangebote, besichtigen und wählen selbst zwischen ihnen aus. Sie werden reguläre Vertragspartner, sodass bei Bleibeaussichten ein direktes Mietverhältnis unproblematisch möglich wird. Zur Intensivierung der dezentralen Unterbringung folgte im September ein Generalmietvertrag zwischen Stadt und WOWI. Das unkomplizierte Verfahren ermöglicht es der Stadt, Wohnungen zügiger zu möblieren und Bewohner mit Wohnraum zu versorgen.

Die künftigen Mieter werden bereits in der Gemeinschaftsunterkunft darauf vorbereitet: Ein Schulungsprogramm informiert über das Zusammenleben in einer deutschen Nachbarschaft. Begleitende Informationen liefert ein Wegweiser, der in sieben Sprachen dafür sorgt, dass es mit dem Nachbarn klappt. Stadt und Wohnungswirtschaft gehen einen transparenten und entschiedenen Weg der Kommunikation: Asyl ist ein Grundrecht und darum nicht verhandelbar. Dazu gehört verantwortungsvolles Handeln – und eine verantwortungsbewusste Kommunikation: FAQs rund um die Thematik „Asyl und Flucht“ sorgen per Flyer und Internetseite für den Abbau von Vorurteilen und sensibilisieren zu Fluchthintergründen. Ein Mieteranschreiben informiert die Alteingesessenen über die Neu-Frankfurter in ihrer Nachbarschaft, eine Info-Hotline steht für alle Fragen zur Verfügung.

Jedem Asylsuchenden stehen ein Sozialarbeiter und ein Kundenbetreuer an der Seite. Auch die Hauswarte werden einbezogen und auf ihren Einsatz als erste Mittler vor Ort vorbereitet. Weitere Gesprächsrunden in den eigenen WOWI-Seniorentreffs und mit Mieterbeiräten soll die Informations- und Dialogkultur weiter in die Tat umsetzen und Empathie sowie Sensibilität aufbauen.

Und wenn sie ihren frankfurterischen Weg gegangen sind, dann leben sie künftig in einem bunten, attraktiven, mittelgroßen Frankfurt (Oder), von dem man nicht mehr erklären muss, dass es noch ein zweites gibt. Entgegen der Aussage vom Innenminister Schröter, Frankfurt (Oder) sei nicht einmal für Flüchtlinge attraktiv, haben Asylsuchende in der Stadt an der Oder ein neues Zuhause nach dem Geist Kleists gefunden: „Ein freier, denkender Mensch bleibt nicht da stehen, wo der Zufall ihn hinstößt; oder wenn er bleibt, so bleibt er aus Gründen, aus Wahl des Bessern.“

Lust auf Migrationshintergrund

Und wenn sie ihren frankfurterischen Weg gegangen sind, dann wird geschehen, was Dirk Wilking vom Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung bei der 1. Integrationskonferenz 2015 formulierte: „Rechtsradikale ärgert es tierisch, wenn Menschen sagen, dass sie Lust auf Menschen mit Migrationshintergrund haben, dass wir sie brauchen und uns von der Vielfalt bereichert sehen“.

Die Willkommenskultur wird in Frankfurt nicht propagiert, sondern ohne viel Gequatsche auf allen gesellschaftlichen Ebenen gelebt werden. Die qualitativ und quantitativ guten Angebote in der Sportlandschaft und in der Kindertagesbetreuung werden ihren Dienst als Integrationsmotoren getan haben.

Und wenn sie ihren frankfurterischen Weg gegangen sind, wird wie der „marginal man“ beim Kultursoziologen Robert Ezra Park die Perspektive der Neu-Frankfurter auf die deutsche Gesellschaft, auf die Frankfurter Eigenheiten dazu genutzt werden, den eigenen Horizont zu erweitern, sich auf den Weg zum Übergang zu einer neuen integrativen Ära zu bewegen.

Und wenn sie ihren frankfurterischen Weg gegangen sind, wird es eine gestärkte mittlere Altersstruktur, (volkswirtschaftlich) gesunden Leerstand ohne Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt geben. Gut ausgebildete junge Menschen haben Jobs im Gesundheits-, Pflege- und Bildungs-Sektor. Die Straßen sind belebt, die Bürgergesellschaft gestärkter denn je, die Stadtquartiere quirlig. Frankfurt (Oder) ist nicht das kleine oder das andere Frankfurt, sondern selbstbewusste Brückenbauerstadt.

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