Cheerleading-Meisterschaft in Hamburg: Glitzer und blaue Flecken

Cheerleading ist ein Nischensport, dabei geht es längst um mehr, als Männer vom Spielfeldrand aus anzufeuern. Ein Besuch in der Sporthalle.

Das Team der DCA Fire Guns aus Harburg bei der Meisterschaft in Hamburg. Das Team - in schwarzen Röcken und bauchfreien schwarzroten Oberteilen - inszeniert sich in einer Choreo auf der Bühne, die Tänzerinnen knien, lehnen, beugen sich oder stehen in mehreren Reihen und salutieren, die meisten lachen dabei

Die Fire Guns bei der Meisterschaft. Leicht und schön muss eine Choreo wirken, um die Jury zu überzeugen Foto: Varsity Europe

HAMBURG taz | Am Morgen von Wettkämpfen, sagt Celina Ehlen, stehe sie immer mit dem rechten Fuß auf. „Cheerleader sind ein bisschen abergläubisch.“ Gegen die Aufregung hilft das aber nicht. An diesem Samstag finden die „German All Level“-Meisterschaften Nord in der Hamburger Sporthalle statt, aus ganz Europa konnten Teams sich anmelden. Es sind noch zwei Stunden, bis Ehlen mit ihrem Team „DCA Fire Guns“ aus Harburg an der Reihe ist und ihr Herz „geht richtig ab“, sagt sie.

Ehlens Team steht draußen vor dem Eingang der Halle und glitzert. Die Athletinnen sind zwischen 17 und 25 Jahre alt, Männer gibt es bei ihnen keine. Heute treten sie zum ersten Mal in ihren neuen Wettkampfanzügen an: hohe schwarze Strümpfe, kurze Röcke, bauchfreie Shirts. Alles übersät mit Strass-Steinchen. 300 Euro kostet eine Uniform. Der erste Einsatz am Samstagabend: Ein schneller Video-Dreh für den TikTok-Kanal des Teams. Dann geht’s gesammelt in den Warm-Up-Bereich.

Vor der Hamburger Sporthalle spürt man nichts davon, dass Cheerleading in Deutschland eine Nischensportart ist. Auf den Parkplätzen reihen sich riesige Reisebusse, durch die offenen Türen ist lautes Kreischen und Popmusik zu hören. 135 Teams sind angereist: Mit Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen, auf unterschiedlichen Leistungslevels, manche mit Männern und manche ohne. Im Vier-Minuten-Takt treten die Teams nacheinander an, von 8 Uhr morgens bis 20 Uhr am Abend. 18 Jury-Mitglieder bewerten die Routinen. Und auf den Publikumstribünen versammeln sich Cheerleader und ihre Fans, um einen halben Tag lang Lärm zu machen.

Vielleicht klappt das so gut, weil Anfeuern in der Natur der Sportart liegt: Das erste Cheerleading-Team in Deutschland wurde 1980 gegründet, um das American-Football-Team „Düsseldorf Panthers“ zu unterstützen. Sideline-Cheering heißt diese Tradition aus den USA und ist das, woraus die Wettkampf-Sportart erwachsen ist.

Die Sportart ist eigenständig geworden

Heute bedeutet Cheerleading aber längst nicht mehr, dass Frauen an der Seitenlinie tanzen, um männliche Sportteams anzufeuern. Im unabhängigen deutschen Cheerleading-Verband (CCVD) sind nach eigener Aussage mittlerweile 300 Teams Mitglied. „Wir sind ein harter Wettkampfsport“, sagt Dilan Pott. Die 28-Jährige hat die Cheerleading-Abteilung im SV Grün-Weiß Harburg vor zehn Jahren gegründet und arbeitet ehrenamtlich als Trainerin der Fire Guns.

Kleiner Zeitsprung, drei Tage vor den Meisterschaften in einer Harburger Schulturnhalle: Um 19:30 Uhr trudelt das Team zum Training ein, die glitzernden Wettkampf-Schleifen schon im Haar. Eine Athletin zupft an der Seitenlinie ihre Frisur zurecht, eine Teamkameradin hält ihr ein Smartphone vors Gesicht – Spiegel-Ersatz. Normalerweise brezelt sich niemand für das Training auf. Aber heute ist Generalprobe, deshalb muss alles sitzen.

Nach dem Aufwärmen tanzt das Team einmal die gesamte Routine durch, mit der sie am Samstag gewinnen wollen. Eine Saison haben sie dafür trainiert, zweimal die Woche, jeweils zwei Stunden, für zweieinhalb Minuten Choreografie. Wer ohne Ahnung vom Fachvokabular zuschaut, würde das Ergebnis wohl so beschreiben: Die Athletinnen formatieren sich immer wieder zu Grüppchen zusammen, bauen Menschenpyramiden, schmeißen sich gegenseitig in die Luft und fangen sich wieder auf, zwischendurch turnen sie und tanzen synchron. Eine Mischung aus Akrobatik, Turnen und Tanz, dazu Popmusik.

Performance ist wichtig, Aufbrezeln gehört dazu

Ehlen sitzt während des Trainings mit einer Erkältung am Seitenrand der Halle auf einer blauen Turnmatte. Bis Samstag müsse sie sich schonen. „Aber da starte ich unter allen Umständen“, sagt sie. Sonst hätte das ganze Team ein Problem. Im Cheerleading käme es eben auf jedes einzelne Mitglied an, alle haben ihre feste Position in der Routine. „Wir müssen uns krass vertrauen, dass wir einander auffangen.“

Trotzdem gebe es immer wieder gebrochene Nasen, offene Nagelbetten, Gehirnerschütterungen. Sie selbst habe sich mal bei einem Rückwärtssalto die Hand gebrochen, erzählt Ehlen. Und auch bei diesem letzten Probedurchlauf bleibt das Team nicht unbeschädigt: „Die Strass-Steinchen sind schrecklich“, schnauft eine Athletin nach dem ersten Durchlauf. Überall würden sie Kratzer hinterlassen. „Naja, wer schön sein will muss leiden“, sagt eine Teamkameradin.

Aber warum ist das beim Cheerleading eigentlich so wichtig, sich zu schminken und zu glitzern? Rein theoretisch könne das Team auch in schwarzem T-Shirt auftreten, sagt Ehlers. Und der Sport stehe natürlich im Vordergrund. Aber: „Es gehört eben auch dazu, dass man sich richtig schön fühlt bei einem Auftritt.“ Gezwungen dazu fühle sie sich nicht. Und noch etwas anderes fällt auf: Beim Cheerleading machen die verschiedensten Körpertypen mit, je nach Position ist es vom Vorteil, zierlich oder kräftig, klein oder groß zu sein.

Das Aussehen spielt also keine große Rolle. Nur die Outfits sind wichtig. „Je leichter und schöner unsere Routine wirkt, desto lieber schaut man uns zu“, sagt Trainerin Dilan Pott. Für die Jury-Bewertung spielt das eine Rolle. Cheerleading ist eben ein Performance-Sport, genau wie Ballett, Turnen oder Eiskunstlaufen.

Es kommt aufs Timing an

Das ist auch am Wettkampftag nicht zu übersehen. Vereinzelt treten zwar auch Teams in weiten Trikots und Leggings statt Minirock auf. Vor allem sind das Mannschaften mit höherem Altersdurchschnitt – die „Elternteams“, wie eine Fire-Gun-Athletin sie nennt. Übersät aber sind die Flure der Hamburger Sporthalle von knappen, glänzenden Kostümen. Neben Essen werden in der Halle auch Haarschleifen verkauft, Anbieter von Uniformen stellen ihre glitzernden Modelle aus.

Von allen Teams aber glitzern die DCA Fire Guns am dollsten. Um 19.16 Uhr werden sie angekündigt, eine Minute früher als es das Programm vorgesehen hat – die Veranstaltung ist perfekt durchgetaktet. Die Fire-Gun-Athletinnen laufen im Scheinwerferlicht auf die Matte und stellen sich in ihrer ersten Formation auf. Dann setzt die Musik ein, der Verein feuert von der Seite an. Nicht alle Stunts sitzen, auch bei der Pyramide wackelt es. Am Ende erhält das Team 71 von 100 möglichen Punkten.

Wieder im Zuschauerraum sagt eine Athletin: „Solche Timing-Probleme wie heute hatten wir noch nie, das ärgert mich schon sehr.“ Bei der Siegerehrung am Ende erreichen die Fire Guns trotzdem den dritten Platz – mehr Konkurrenz gab es in ihrer Wettkampf-Kategorie nicht. Und das Team blickt nach vorne: Im Mai ist bereits die nächste Meisterschaft.

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