Bundesbehörde täuscht mit Statistik: Aus Kindern werden „Männer“

Der Anteil der Männer unter den Asylbewerbern wird vom Bundesamt für Migration falsch dargestellt. Das hat weitreichende Folgen.

Drei Kinder spielen mit Bällen zwischen Zelten

Gaga? Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sieht hier drei Männer Fußball spielen Foto: dpa

BERLIN taz | Dafür, dass tendenziell mehr Männer als Frauen nach Europa fliehen, gibt es zahlreiche Gründe. Nach traditionellen Vorstellungen stehen meist Männer in der Verantwortung, die Familie zu versorgen, und sie gelten als körperlich stärker. Deswegen müssen oft sie die Reise antreten – nicht selten in der Hoffnung, Frauen und Kinder einmal legal nachholen zu können. Für Frauen kommt zu den vielen Gefahren auf der Flucht noch das Risiko hinzu, vergewaltigt oder verschleppt zu werden. Und mit Kind ist die Flucht noch gefährlicher.

Darum kamen in den vergangenen Jahren tendenziell mehr Männer als Frauen als Flüchtlinge nach Deutschland. Doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) lässt den Anteil der Männer unter den Asylbewerbern noch höher erscheinen, als er tatsächlich ist.

In der Broschüre „Aktuelle Zahlen zu Asyl“, die das Bamf monatlich herausgibt, steht: „(Fast) zwei Drittel aller Erstanträge werden von Männern gestellt“. Diese Formulierung findet sich seit 2015 in dem Heft, auch in der jüngsten Ausgabe vom Juli 2017. Viele Medien übernahmen ihn – und bedienten damit das Angstbild einer „Invasion junger Männer“, das von rechten Hetzseiten befördert wird.

Laut Duden ist ein Mann eine „erwachsene Person männlichen Geschlechts“. Auch das Aufenthaltsgesetz behandelt alle Menschen bis zu ihrem 16. Geburtstag als Kinder und Jugendliche – so wird etwa erst bei „minderjährigen und ledigen Kindern, die bereits das 16. Lebensjahr vollendet haben“, der Familiennachzug eingeschränkt. In dieser Formulierung werden also sogar 16-Jährige vom Gesetz noch als „Kinder“ bezeichnet.

Über die Hälfte aller

Erstanträge werden

von Frauen und

Kindern gestellt

Doch das Bamf fasst den Begriff „Männer“ sehr weit: In seine Berechnungen gehen auch Kinder bis zu 16 Jahren als „Männer“ ein. Im Jahr 2016 zählten dazu beispielsweise auch über 40.000 Kinder unter vier Jahren. Das deckt sich nicht mit dem üblichen Sprachgebrauch.

Rechnet man alle Kinder unter 16 Jahren aus der Gruppe der „Männer“, so sind im Jahr 2015 statt zwei Drittel, wie das BAMF schreibt, nur noch 55 Prozent der Erstantragsteller „Männer“. Im Jahr 2016 sind es demnach 49 Prozent, in der ersten Jahreshälfte 2017 nur noch 42 Prozent männliche Antragsteller über 16 Jahre. Das heißt, das Bamf könnte genau so gut – und besser – formulieren: „Über die Hälfte aller Erstanträge werden von Frauen und Kindern gestellt.“ Denn in der ersten Jahreshälfte 2017 stammten 58 Prozent der Erstanträge von Frauen und Kindern – in Zahlen rund 58.000 Anträge. Von tatsächlichen Männern über 16 sind es rund 42.000.

Auf Anfrage teilte das BAMF der taz mit: „Ihren Hinweis auf die missverständliche Textpassage werden wir gerne in der nächsten Ausgabe unserer Publikation ‚aktuelle Zahlen zu Asyl‘ berücksichtigen.“ Eine weitere Stellungnahme gab es nicht. Bleibt die Frage, warum es seine Zahlen auf eine Weise präsentiert, die ein Zerrbild zeichnet.

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